Wenn die alte Faustregel noch gilt, dass erst bei Wirtschaftswachstumsraten von 2,5 Prozent und darüber eine tatsächliche und nachhaltige Erholung auf dem Arbeitsmarkt einsetzt, werden wir noch längere Zeit steigende Arbeitslosenraten beklagen müssen. Auf die Bundesregierung ist nur insofern Verlass, als mit der Regelmäßigkeit tibetanischer Gebetsmühlen ein Abflachen des Anstiegs der Arbeitslosenzahlen bereits als Trendumkehr verkauft wird.

Sowohl bei der Pensionsreform 2000 als auch bei der heuer durchgeboxten "Lebensarbeitszeitverlängerungsreform" blieben die begleitenden Arbeitsmarktmaßnahmen unterhalb der Wahrnehmungsschwelle. Dem zarten Pflänzchen des Kon- junkturaufschwungs werden nicht mit einem Vorziehen der Steuerreform oder gar mit einem rechtzeitigen Konjunktur- paket III kräftigende Nährstoffe verabreicht.

Kein Wunder also, dass die Jugendarbeitslosigkeit überdurchschnittlich steigt. 6000 Jugendliche finden derzeit keine Lehrstelle. Das bloße Verlängern des so genannten Auffangnetzes für Jugendliche in zehnmonatigen Lehrgängen ist real existierende Realitätsverweigerung.

Es drängt sich einmal mehr der Verdacht auf, dass der Kampf gegen hohe Arbeitslosenraten der rechtskonservativen Regierungskoalition kein wirkliches Herzensanliegen, nicht einmal ein gröberer Dorn im Auge ist. Je höher die Arbeitslosigkeit ist, desto leichter sind Nulllohnrunden durchzusetzen. Und je höher die Arbeitslosigkeit ist, desto leichter kann der Kurs gegen Arbeitslose beibehalten werden, der sich in höheren Strafen, schärferen Zumutbarkeitsbestimmungen und unsinnigen Kurzzeit-Schulungen manifestiert. Schönreden, Wegschauen, Aussitzen ist offenbar das schwarz-blaue Konzept. (DER STANDARD Printausgabe, 3.9.2003)