Alte Frauen gelten in unserer Kultur als bedrohlich.
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Frauen könnten nach den Wechseljahren so richtig aufblühen. Denn die "Bürde der Kinderaufzucht" liegt hinter ihnen und der Realisierung ihrer Wünsche steht nun absolut nichts mehr im Wege.
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Im Sommer platzte die Hormonbombe auch in Österreich. Anlass war die Publizierung der bisher weltweit größten Studie zur Hormonersatztherapie in den Wechseljahren, welche in der seriösen Wissenschafts-Zeitschrift "The Lancet" veröffentlicht worden ist. Die erschütternden Ergebnisse - dieStandard.at berichtete - lösten eine heftige Debatte zwischen BefürworterInnen - zumeist Männer im Umfeld der Gynäkologie - und GegnerInnen - zumeist Frauen in den alternativen Gefilden der Schulmedizin - aus. Auf der Strecke blieben - wie so oft - die Betroffenen selbst. Zuerst Panikmache, dann Verharmlosung. Richtige Aufklärung passierte bis heute nicht, denn die Diskussion gehört schon wieder der Vergangenheit an. Da kann frau nur hoffen, in die richtigen, ihr Wohl berücksichtigenden, Hände zu kommen. Noch besser: sich selbst informieren! Denn um sie selbst geht es schlussendlich!

Jede zweite Frau ab 50 schluckt Hormonpillen

Der Streit um die Hormontherapie ist so lang wie diese Substitutionsform selbst. Schon in den 70er-Jahren hatten ExpertInnen verschiedenster Richtungen vor der Pathologisierung eines so natürlichen Prozesses wie den Wechseljahren gewarnt, und damit zugleich vor der unkritischen präventiven Einnahme von Hormontabletten. Trotzdem schluckt in den industrialisierten Ländern jede zweite Frau zwischen 50 und 60 Jahren die angeblich Erfolg versprechende Pille (Zäpfchen oder Plaster) mit Östrogen und/oder Gestagen. Denn nachgesagt wird ihr nicht bloß die Zurückdrängung von Schweißausbrüchen und Schlaflosigkeit, sondern auch "ewige Jugend": Anti-Aging, wie es so schön heißt.

Studien belegen ein enormes Risiko

Dabei hat erst im Vorjahr ein Skandal in den USA aufhorchen lassen. Die National Institutes of Health mussten eine auf acht Jahre angelegte Studie über Risiken und Nebenwirkungen von Hormonpräparaten bereits nach fünf Jahren abbrechen, weil schon nach diesem Zeitraum die Einnahme von "Prempro" alarmierende Ergebnisse geliefert hatte: Das Thrombose-Risiko war um 100 Prozent gestiegen, Schlaganfälle um 41 Prozent, Herzkrankheiten um 29 Prozent und Brustkrebs um 26 Prozent. Dem gegenüber haben sich die vollmundigen Versprechen des Großteils der MedizinerInnen und PharmazeutInnen von einer Verlängerung der Jugendlichkeit bis ins hohe Alter nicht erfüllt. "Positive Nebeneffekte" wie "besserer Sex", eine straffere Haut und ein generell jugendlicheres Aussehen konnten durch keine ernstzunehmende Studie bestätigt werden.

Pathologisierung einer natürlichen Phase

Was ist nun an einem so natürlichen körperlichen (und seelischen) Prozess wie den Wechseljahren bedrohlich, dass sich ein ganzer Medizinbereich Hand in Hand mit der Pharmaindustrie und gefolgt von einem Heer an leichtgläubigen Frauen dagegen auflehnt? Gemeinsam tönt es: Die Frau im Wechsel sei ein "Mangelwesen", sie sei krank und folglich therapiebedürftig. Krank ist vielmehr, diese wichtige Lebensphase zu pathologisieren. Zum Vergleich: Wer käme auf die Idee, die Pubertät, welche die Gebär- und Zeugungsfähigkeit einleitet, für krank und daher behandelbar zu erklären?

Frauenkörper unterliegt der Kontrolle

Faktum ist: In der westlichen-patriarchalen Kultur war der Frauenkörper auf unterschiedlichsten Ebenen von jeher der Kontrolle unterworfen. Das betrifft in erster Linie die Gebärfähigkeit von Frauen, warum sollte dies mit deren Ende anders sein? "Natürliche Abläufe im Leben einer Frau sind offenbar überwachungsbedürftig", schreibt Theresia Maria de Jong, und somit lautet die Botschaft: "Nur mithilfe der Medizin haben Frauen die Chance, den Verfall ihrer Gesundheit, ihres Körpers und sogar ihrer Identität folgenlos zu überstehen".

Kulturproblem

Die Medizin kann und soll aber nicht das übernehmen, was früher - und in anderen Kulturen auch heute noch - sogenannte Übergangsphasen leiste(t)en. Denn in anderen Kulturkreisen als im europäisch-amerikanischen existieren Wechseljahr-Beschwerden so gut wie nicht, wie die Autorinnen Godula Kosack und Ulrike Krasberg in ihrem Buch "Regel-lose Frauen. Wechseljahre im Kulturvergleich" belegen. "Überall dort, wo der Fortfall der Fortpflanzungsfähigkeit einhergeht mit größerer Freiheit, Achtung, Kraft, Macht und weitergehenden Rechten, sind die negativen köperlichen Symptome der Wechseljahre eher unbekannt", merkt Theresia Maria de Jong an. Maya-Frauen und Griechinnen gaben beispielsweise an, dass sie das Ende der Gebärfähigkeit als eine Art von Befreiung erlebten und sie ihre Aufgaben verlagern konnten. Die Ethnologin Nino Mendadze berichtete, dass die soziale Stellung der Frauen in Georgien mit dem Alter einer Frau steigt. Frauen, die keine Kinder mehr bekommen können, gelten dann so frei wie Männer.

Chance des Aufbruchs zu neuen Ufern

Doch auch Frauen in der westlichen Kultur könnten von der Lebensphase des Wechsels enorm profitieren. Sie stehen quasi vor einem Neubeginn. Vor allem Frauen mit Kindern, die nun flügge geworden sind, stehen vor einer neuen Herausforderung. Endlich uneingeschränkt das leben, was sie vielleicht bisher immer aufgeschoben haben. Projekte, Hobbys, Reisen, möglicherweise sogar eine berufliche Umorientierung. Die notwendige Kraft dazu haben sie allemal, wie die Alterforschung bewiesen hat. Und der Östrogenmangel fördert den Aufbruch in neue Aktivitäten, wie Julia Onken in ihrem Buch schreibt. Oder wie es Sylvia Schneider ausdrückt: "Östrogen macht Frauen so, wie eine männlich dominierte Gesellschaft sie gerne haben will". Und Susan Love legt noch eines drauf, wenn sie schreibt: "Vielleicht liegt das Problem ja gar nicht in einem Östrogenmangel nach der Menopause - sondern in einem Östrogenüberschuss davor. Darf ich sagen Östrogenvergiftung? Vielleicht werden Frauen einzig dann gefügig genug, um sich zu paaren und fortzupflanzen, wenn sie unter dem Einfluss domestizierender Hormone stehen".