Bild nicht mehr verfügbar.

Edward Said

Foto: APA/EPA/Mena

New York – Am Donnerstag ist der weltberühmte palästinensisch-amerikanische Kulturwissenschaftler Edward Said in einem New Yorker Spital an Leukämie gestorben. Für einen Professor, der sich auf höchstem Niveau lebenslang mit Methodenfragen der kulturellen und literarischen Interpretation beschäftigte, ist das Echo sehr ungewöhnlich: Sogar UN-Generalsekretär Koffi Annan ließ verlauten, er hätte gerne Saids Gegenwart genossen; und immer hätte er seine "Leidenschaft für seine Friedensvision für Israel/Palästina" bewundert.

Auch Yassir Arafat, dem Said vor einem Jahrzehnt jegliche Gefolgschaft aufkündigte, gab ein Statement ab: Sein Volk betrauere "den internationalen Intellektuellen und Sohn des Palästinenservolkes, Professor Edward Said." – Was stimmt nun eigentlich?

Als bei dem 1935 in Jerusalem geborenen Sohn aus christlicher Palästinenserfamilie geborenen Said die Leukämie ausbrach, schrieb er seine Autobiografie Out of Place. A memoir (1999; dt.: Am falschen Ort). So leicht ließ er sich nämlich nicht auf einen Ort, auch nicht im politischen Sinne, festnageln: Saids Vater, der 1911 in die USA emigriert war und dann wieder in Kairo lebte, führte das größte Schreibwarenimperium des Nahen Ostens; die Mutter stammte aus dem Libanon.

Aber warum sie ihren Erstgeborenen "Edward" nannten, konnte das Kind nicht einsehen, "auch wenn ihr Arabisch zweifellos englische Einsprengsel hatte" – und er selbst die besten englischen Schulen in Kairo und, nach der Flucht der Familie 1948 in die USA, die Universitäten in Princeton und Harvard absolvierte: "Dieses unsichere Gefühl mehrerer – weit gehend widerstreitender – Identitäten hat mich mein ganzes Leben lang begleitet, zusammen mit meinem verzweifelten Wunsch, eindeutig arabisch oder europäisch oder amerikanisch zu sein oder christlich-orthodox oder muslimisch oder ägyptisch und so weiter."

Dieser Konflikt wurde auch zu seinem Forschungsthema. Hier ging er nämlich, seit 1967 Professor für Vergleichende Literaturwissenschaft an der New Yorker Columbia, den Zwangszuschreibungen von "Identitäten" nach, die Einzelnen und ganzen Kulturkreisen aufgepfropft werden: Die Studie Orientalism (1978) wurde zu einem Grundbuch der Kulturwissenschaften. Saids These: Auch die Europäer und Amerikaner, die sich dem "Orient" und/oder der arabischen Welt gegenüber als "aufgeschlossen" gaben, stülpten ihren Kolonisatorenbick über das "Fremde".

Flaubert und Verdi

Als Nachweis dienten dabei Interpretationen zu Texten von Gustave Flaubert, von Joseph Conrad, Verdis "Aida": Der "Orient" werde darin zum quasi mystischen Ort der Dekadenz, Korruption und Brutalität. – Eine bahnbrechende, eine auch heftig diskutierte Studie, die ihren Wert auch im Diskurs nach 9/11 bewies.

Und dann der Schritt in die Praxis: Said widerlegte ja schon in seiner intellektuell streitbaren Person das Klischee des "ungebildeten Palästinenservolkes". Zu dessen Sprecher in der akademischen Welt machte er sich seit 1967. Bis 1991 gehörte Edward Said dem Palästinensischen Nationalrat an. Das Abkommen von Oslo sah er aber als "Versailles" – er sagte sich von Arafat los, seine Bücher wurden in Palästina verboten. Said kritisierte Israel als "Militärmacht", umgekehrt aber auch die Autonomiebehörde als "undemokratische, korrupte und polizeistaatliche Autokratie". Seine Vision: ein binationaler, demokratischer Staat.

In diesem komplexen Zusammenhang muss auch jenes Ereignis gesehen werden, das im Jahr 2000 als Foto um die Welt ging: Bei einem Besuch im Libanon, dem Heimatland seiner Mutter, hatte der Professor an der Grenze zu Israel einen Stein geworfen – und wurde prompt als "Fanatiker" bezeichnet (und auch von der Wiener Freud-Gesellschaft vor einem fixierten Vortrag ausgeladen).

Aber Said war kein Fanatiker, dazu war er – wie auch Interviews im STANDARD zeigten – viel zu differenziert. (Richard Reichensperger/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 27./28. 9. 2003)