In "Handwerk des Tötens" (Suhrkamp Verlag) setzt sich Gstrein mit den jüngsten Kriegen auf dem Balkan auseinander. Weigel ging in ihrer Laudatio auf Gstreins "hohe Kunst der Perspektive" ein, unter die sich sein ganzes Werk stellen lasse. Diese entfalte sich aus einem Zusammenspiel von Fiktion und Recherche, der Fiktion als Schöpfer von Personal und Handlungen, der Recherche, um diese in genau erkundete historische Schauplätze zu versetzen. "So werden die fiktiven Figuren zu Akteuren, deren Geschichten wahrscheinlicher sind als viele so genannte authentische Berichte, gerade weil sie uns alle Angebote zur Identifikation und Rührung verweigern."
"Vielstimmig komponierte Texte"
Gstreins Texte seien nicht nur dialogisch, oft sogar vielstimmig komponiert, so Weigel. "Sie lesen sich darüber hinaus als Verhandlungen über die Möglichkeiten des Erzählens im Streit verschiedener Sprachen, Motivationen, Haltungen und Stillagen." Auf diesem Weg gelinge es dem Autor, sich trotz des Misstrauens in die großen Erzählungen wieder der Ereignisse anzunehmen, deren Deutung, wenn die Literatur sich für unzuständig erkläre, allein den Dabeigewesenen und der Reportagen der Massenmedien überlassen bleibe. "Sich keine Perspektive erlauben, das bedeutet bei Norbert Gstrein nämlich keineswegs einen Verzicht auf das Erzählen, das bedeutet vielmehr Vertrauen in das Vermögen der Einbildungskraft und in die Kunst, verschiedene Stimmen zum Sprechen zu bringen."
Biographisches
Norbert Gstrein wurde am 3. Juni 1961 in Mils (Tirol) geboren und lebt zurzeit in London und Hamburg. Er studierte Mathematik in Innsbruck, Stanford sowie Erlangen und arbeitete an einer sprachphilosophischen Dissertation zur "Logik des Fragens". Lebensstationen waren unter anderem Wien und Zürich. Zu seinem erzählerischen Werk gehören die Romane "Das Register" (1992) und "Die englischen Jahre" (1999), die Novellen "O2" (1993) und "Der Kommerzialrat" (1995) sowie die Erzählungen "Einer" (1988), "Anderntags" (1989) und "Selbstportrait mit einer Toten" (2000). Er wurde bisher bereits u.a. mit dem Preis des Landes Kärnten beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb (1989), dem Berliner Literaturpreis (1994), dem Alfred-Döblin-Preis (1999) und dem Literaturpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung (2001) ausgezeichnet.
Uwe-Johnson-Tage zu Ende
Mit der Preisübergabe gingen am Samstag in Neubrandenburg die zehnten Uwe-Johnson-Tage zu Ende. Zu der literarischen Woche im Süden von Mecklenburg seien 350 Besucher gekommen, sagte Organisatorin Regine Kroh. Die Lesungen und Gespräche widmeten sich schriftstellerischen Werken über Kindheit und Jugend. Zu Gast waren unter anderem die Autoren Florian Illies ("Generation Golf") und Volker Braun.