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Foto: APA/Leodolter
Graz 2003 war der größte Erfolg in der Stadtgeschichte, sagt Intendant Wolfgang Lorenz: Er zürnt den Politikern, weil sie die Marke künftig nicht pflegen wollen.


Graz - Wolfgang Lorenz, der auch das Meer in die Alpen gebracht hatte (via Liveschaltung aus Triest um sehr, sehr viel Geld auf eine LED-Projektionsfläche am Freiheitsplatz), sah aus einem Fenster des 2003-Hauptquartiers und sah, dass es gut war: Der Intendant der Kulturhauptstadt, beinahe allmächtig, sah auf die Menschenmassen, die zur Insel strömten, die er in der eigens aufgestauten Mur hatte erschaffen lassen, oder über die Brücke zum Kunsthaus pilgerten, wo die Abertausenden grüppchenweise von theatralischen Wesen mit der Frohbotschaft "Wir sind gelandet!" im Fünfminutentakt durch das eigenwillige Raumschiff geschleust wurden.

Die Organisation klappte wundersamerweise perfekt. Und das Wetter war strahlend, strahlender ging es nicht. Am Burgring aber kam es zum Chaos, weil sich die Busse mit den Touristen gegenseitig im Weg standen, was man in Graz nie zuvor gesehen hatte, und Lorenz vernahm die Kunde derer, die über die Sprachenverwirrung staunten, mit Befriedigung. 2003 sei der größte Erfolg in der Geschichte der Stadt, sagte er. Graz sei eine attraktive Stadt geworden, sagte er, heuer wahrscheinlich die attraktivste Stadt Österreichs.

Und doch zürnte er. Lorenz setzte sich, zu seiner Rechten saß Eberhard Schrempf, der Stellvertreter vor Ort, zu seiner Linken Manfred Gaulhofer, der Finanzchef mit dem flatternden Schal. Und dann hob die Dreieinigkeit an, den gotteslästerlichen Vorwurf, ihre Graz-2003-GmbH hätte die Stadt finanziell ruiniert, mit Zahlen zu entkräften.

Sicher, die Stadt überwies in mehreren Tranchen 18,2 Millionen Euro an die Kulturhauptstadtmacher. Aber die Rückflüsse seien enorm. So habe die GmbH 44 Millionen Euro in der Stadt ausgegeben. Bis Mitte September hätten über zwei Millionen Menschen die Veranstaltungen der Kulturhauptstadt besucht, von diesen hätte knapp die Hälfte (905.000) Eintritt bezahlt. Die Nächtigungen seien bis September um 28 Prozent beziehungsweise 150.0000 gestiegen, hinzu komme ein massiver Zuwachs an Tagestouristen (um eine Million): Die gebuchten Fremdenführungen hätten sich gegenüber 2002 mehr als verdoppelt.

Aufgrund seriöser Berechnungen könne man davon ausgehen, dass die Mehrtagestouristen 21 Millionen Euro in der Stadt lassen. Und wenn jeder Tagestourist nur 15 Euro ausgebe, seien das weitere 15 Millionen. Ferner habe man anstelle der eigentlich zuständigen Grazer Tourismus GmbH gut 3,8 Millionen für Stadtmarketing aufgewendet.

Die drei Zahlen- wie Wortgewaltigen aber schaudert es, wenn sie an die Zukunft denken. Denn an diese sei trotz mehrfacher Aufforderung nicht gedacht worden. Daher drohe der Stadt, in der einst die Zeitlupe erfunden wurde, wie Schrempf trocken feststellte, ein Rückfall in alte Zeiten: Das Jahr 2003 werde einfach übertüncht (in Graz wurde auch die Dispersionsfarbe erfunden). "Ein Takeover mit Jänner 2004 ist jetzt fast nicht mehr möglich. Und dadurch entsteht wirklich großer wirtschaftlicher Schaden."

Denn wenn man jetzt nicht investiere, die Hüllen also, die aufgrund der Kulturhauptstadt errichtet wurden (wie Literaturhaus, List-Halle, Kindermuseum, Stadthalle, Popkulturzentrum), mit spannenden Inhalten fülle, werde Graz der etablierten Marke nicht gerecht: Es gebe künftig keine Produktwahrheit - und die Touristen würden ausbleiben.

Was aber machte die Politik? Sie erklärte die Kultur nicht, was Lorenz bedauert, "zur Causa prima", sondern installierte mit Christian Buchmann einen "Viertelkulturstadtrat" (der zudem für Wissenschaft, Verkehr und Tourismus zuständig ist). Und obwohl er, Lorenz, seit Monaten Gesprächsbereitschaft signalisiert habe, hätte niemand mit ihm reden wollen: "Unser Know-how ist unerwünscht."

Und was hätte er vorgeschlagen? "Die Politik versteht nichts von Kultur", sagt Lorenz. Daher müsse die Kultur ausgelagert werden. Doch das will Buchmann (VP) nicht: Die 2003 zu kurz Gekommenen sollen besonders gefördert werden. Das empfindet Lorenz als "Drohung". Und dann blickt er voll Wehmut durch das Fenster auf den Mikrokosmos, den er schon bald sich selbst überlassen muss. (DER STANDARD, Printausgabe vom 29. September 2003)