Foto: Verlag Steidl
Foto: Verlag Steidl
Foto: Verlag Steidl
Irgendwo, inmitten der Dunkelheit, leuchtet ein falscher Komet. Eine Zukunft verheißt er, die zum Greifen nahe ist, und von einer Gegenwart erzählt er, die davon nichts wissen will. Gehen die Lichter des Kometen aus, dann wird es endgültig schwarz am Himmel über Hedi Slimanes Berlin.

Dieses Berlin des Pariser Modemachers, es hat natürlich nichts mit dem realen Berlin zu tun. Es kleidet sich in einen schmucken Leineneinband, steckt im edlen Kartonschuber und ist auch ansonsten so, wie die Stadt unterm Fernsehturm höchstens in ihren eigenen, kühn-romantischsten Träumen ist.

Am Boden einige Zigarettenstummel, eine Gitarre an der Wand. Zerrissene Plakate, verfallenes Mauerwerk, Wodka und eine CD von Tocotronic. Und natürlich die zart beflaumten Jungs: Sie lehnen an weißen Wänden und ziehen sich die T-Shirts über den schmalgliedrigen Leib. Schauen sie - selten genug - in die Kamera, dann tun sie das so traurig und gereizt, dass man unwillkürlich zusammenzuckt.

Ja, einen poetischeren Ort als dieses Berlin zwischen Prenzlberg und dem Friedrichshain hat noch niemand erfunden. Dafür musste schon einer wie Hedi Slimane kommen, der erst 35-jährige Pariser Designer, dessen wunderbare Männermode für Dior Homme mit Sicherheit auch all den schmächtigen Jungs in diesem Fotoband (erschienen in Karl Lagerfelds Edition 7L bei Steidl) passen würde. Über Jahre hinweg nahm Slimane den Nachtzug von Paris nach Berlin, um zumindest einige Tage im Monat eine Auszeit vom Moderummel zu nehmen.

In Berlin kennt Slimane, der Sohn eines Tunesiers und einer Italienerin, der in Paris innerhalb weniger Jahre zum meistgefeierten Männer-Mode-Macher aufgestiegen ist, kaum jemanden, und diese Privatheit sieht man den Fotos auch an: Nur die Oberfläche der Schwarz-Weiß-Fotos ist grob und rau, der Rest ist von großer Zartheit. Zwei Teenager, die nebeneinander mit geschlossenen Augen im Gras liegen, zwei abgewetzte Plüschtiere, aneinander gelehnt.

Slimanes Berlin ist aufregend, macht sich allerdings nichts draus, es ist jung und schmutzig und ein bisschen verloren. Rimbaud liest man hier, und nicht Bret Easton Ellis. Man spielt Gitarre, und darauf den Blues.

"Ost" liest man auf einer der Fotografien, und das ist als Wegweiser zu verstehen durch Slimanes Fotografien, die keine Erzählungen liefern, sondern Partikel aus einer verkommen schönen Welt. Nicht in Wilmersdorf oder Charlottenburg, also in Berlin West, sind diese Bilder entstanden, sondern in Ostberliner Hinterhöfen, in den Parks und versteckten Winkeln der Stadt. Dort also, wohin auch Slimanes Mode weitaus besser passt als in die leicht vergilbte Welt des Berliner Kurfürstendamms. (DerStandard/rondo/Stephan Hilpold/10/10/03)