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Peter Zawrel, Chef des Wiener Filmfonds: "Wir haben es mit einer Politik zu tun, die den Dialog immer dann erst ermöglicht, wenn die Macht des Faktischen etabliert ist."

Foto: APA/Barbara Gindl
Anhand des Wirbels rund um die neue Diagonale lässt sich vortrefflich studieren, wohin eine aktuelle heimische Kulturpolitik führt, die den Dialog mit den Betroffenen bewusst vermeidet


Was sich rund um das österreichische Filmfestival Diagonale abspielt, ist eine von der herrschenden Politik in Gang gesetzte Farce, für die alle, die glauben, einer Kulturnation anzugehören, dankbar sein müssen. Denn sie führt uns deutlich vor Augen, welche Ziele jene verfolgen, die sich derzeit im Besitz der Macht wähnen zu diktieren, wie unsere Kultur auszusehen hat und wer zu ihrer Ausübung zugelassen wird.

Dass die Eskalation im Film stattfindet, war voraussehbar, seitdem die maßgeblichen Filmschaffenden sich gegen die Regierenden wandten. Was hätten jene, deren Beruf die mediale Reflexion der Wirklichkeit und die Verweigerung jeglicher Hegemonialität eingeschrieben ist, auch sonst tun sollen?

Nun lässt der zuständige Staatssekretär ausrichten, dass die Türe den Filmschaffenden offen stünde. Er sagt aber nicht, wohin der Weg durch diese Tür führt, und es gibt keine Antwort auf die Frage, warum die Filmschaffenden nicht eingeladen waren, an der Errichtung des Türstockes mitzuwirken. Aber wie konnte es überhaupt dazu kommen, dass jene, welche die Kultur schaffen, von jenen, die sie einem gesetzlichen Auftrag gemäß zu fördern haben, eingeladen werden können, an etwas zu partizipieren, was seit Jahrzehnten in ihrem Eigentum stand? Und wie lange sehen wir diesem Enteignungsprozess noch zu?

Erinnern wir uns ...

Die Diagonale startete 1993 in Salzburg als Gegenveranstaltung zu den Österreichischen Filmtagen, die in Wels über die Bühne jener Stadt gingen, der vom damaligen Kunstminister Rudolf Scholten wegen ihres schlampigen Verhältnisses zu ihren "braunen Flecken" die Gunst des Subventionsgebers entzogen wurde. Es gab vor zehn Jahren also zwei "nationale" Filmfestivals, eines finanziert von Bund sowie Stadt und Land Salzburg, eines von der Stadt Wels und fast allen anderen Bundesländern.

Dass die Diagonale sich etablieren konnte, war aber nicht dem staatlichen Füllhorn zu verdanken, sondern der Glaubwürdigkeit ihrer "Macher" und jener Scholtens, der auch ohne Freikarte im Kino anzutreffen war und ist. Aber in einer Atmosphäre, wo so vieles möglich war, ging der Wirklichkeitssinn dafür verloren, dass die Nähe zur Macht den Rücken vielleicht vorübergehend wärmt, aber nicht unbedingt nachhaltig stärkt. Als es darauf angekommen wäre, z.B. Handlungsspielräume autonomer Trägervereine wie dem der Diagonale gegenüber einer restaurativen Kulturpolitik auszunutzen, wollte man bis zuletzt nicht wahrhaben, dass wir es nun mit einer Politik zu tun haben, die den Dialog immer erst dann ermöglicht, wenn die Macht des Faktischen etabliert ist.

Rekapitulieren wir: Die österreichische Filmbranche wird mit einem Fernsehfilmförderungsfonds beglückt, über dessen gesetzliche Grundlage mit den Betroffenen erst gesprochen wird, nachdem diese zur Begutachtung versendet wurde. Das Österreichische Filminstitut, per Gesetzesauftrag für solche Agenden zur Verfügung stehend, wird in der Konzeption und Durchführung umgangen. Wenig später wird die Filmbranche mit einem "Verein zur Förderung des österreichischen und europäischen Films" beglückt, der die neue Diagonale besorgen soll.

Die bislang bekannten Mitglieder des Vorstandes betreiben Event-Agenturen (Herwig Ursin; Hans Metzger von der Styria-Tochter event-media) oder Art-Consulting (Anja Hasenlechner), der Vorsitzende (Andreas Kamm) ist ein Angestellter jenes Produzenten (Kurt Mrkwicka), der sich in der Vergangenheit regelmäßig gegen die Subventionierung der alten Diagonale äußerte.

Synergieeffekte!

Und dass der Konzernchef eines Vorstandsmitgliedes im beratenden Präsidium zu finden ist (Horst Pirker, Styria Medien-AG), könnte interessante Synergieeffekte nicht nur in Österreich, sondern auch im Ausland ermöglichen, das mit dem nach Südosteuropa orientierten Festivalkonzept ja auch beglückt werden soll, gehören zum Konzern doch nicht nur Die Presse und Die Kleine Zeitung, sondern auch die größte kroatische und bald vielleicht auch eine slowenische Zeitung; von den Privat-TV-Inte^ressen ganz abgesehen.

Wo bleibt hier die Glaubwürdigkeit? Nebenbei: Dass mit dem Konzept für ein internationales Filmfestival in Graz plus "Basar" (da sollen Projekte Finanziers finden – der Begriff ist jedoch peinlich) und "Markt" (da sollen Filme verkauft werden), beide auf Südosteuropa orientiert, ausgerechnet dem Filmfestival in Sarajewo Konkurrenz gemacht wird, wo mit großem Engagement nun auch ein Markt zu funktionieren beginnt, scheint die anonymen Diagonale-Konzeptionisten nicht weiter zu interessieren. Beglückung statt Kooperation!

Es bestehen Gründe zur Annahme, dass die nächste Zwangsbeglückung stattfindet, wenn demnächst die Leitung des Österreichischen Filminstitutes neu zu besetzen ist. Dass dem Filmförderungsgebäude des Bundes, das auch die Filmabteilung im Bundeskanzleramt selbst beherbergt, eine Renovierung gut täte, sei nicht bezweifelt, aber: Gewährt man den Betroffenen Zutritt zur Baustelle?

Und was soll bitte heißen, dass der neue Diagonale-Verein gemäß seiner Statuten auch die Präsentation des österreichischen Films im Ausland bezweckt? Dasselbe steht im Mission-Statement der seit 1986 erfolgreichen Austrian Film Commission, wie einst die Österreichischen Filmtage ebenfalls keine staatliche Gründung, sondern eine autonome, konsensuale Einrichtung der Filmwirtschaft, die – noch? – vom Österreichischen Filminstitut gefördert wird.

Die einzige Plattform, auf der das gesamte österreichische Filmschaffen, vom teuren TV-Movie bis zur No-Budget-Produktion, sein international beachtetes Forum gefunden hat, darf kein zweites Mal aufs Spiel gesetzt werden! Und die Kulturschaffenden dieses Landes sollten sich rasch darüber klar werden, wie das Verhältnis zwischen Kultur und Politik neu zu definieren ist, denn mit den in der Vergangenheit eingeübten Praktiken wird in Zukunft kein Staat zu machen sein. (DER STANDARD, Printausgabe vom 4./5.10.2003)