Bill Murray im Viennale-Eröffnungsfilm "Lost in translation"

Foto: Viennale
... einer melancholischen Komödie, die zwei einsame Reisende mit den Tücken eines Japanaufenthalts konfrontiert.

Die Konstellation scheint altbekannt: Eine junge Amerikanerin (Scarlett Johansson) und ein alternder Hollywoodschauspieler (Bill Murray) begegnen einander in einem japanischen Luxushotel. Sie begleitet ihren Ehemann (Giovanni Ribisi), der wegen eines Fotoshootings nach Tokio gekommen ist. Er ist für eine Whiskeywerbekampagne engagiert und mit Frau und Kindern nur via Fax und Telefon verbunden. Beide haben viel Zeit und das Gefühl, allein am falschen Ort zu sein.

Die zwei lernen sich also kennen. Die Beziehung, die sich zwischen Charlotte und Bob in der Folge entwickelt, verläuft dann aber doch anders, als man es erwarten würde: Zu allererst funktioniert sie als klassische Reisebekanntschaft - über eine vertraute Sprache und einen gemeinsamen Sinn für Humor, über die Ablehnung von Verhaltensweisen anderer Landsleute, in der man sich einig ist, und über das Gefühl, mit dem jeweiligen Ehepartner an einem toten Punkt angekommen zu sein.

Sofia Coppola beschreibt in Lost in Translation also in erster Linie eine Freundschaft, entwickelt aus einzelnen Situationen ein Stimmungsbild vom (privilegierten) Dasein in der Fremde. Selbst im geschützten Raum des Hotels, das nach globalen Regeln funktioniert, tun sich für die Gäste aus dem Ausland kleine Fallen auf. Bob ist dabei mehr für den Klischeeteil zuständig, der beim sich höflich verbeugenden, Visitkarten überreichenden, vielköpfigen Empfangskomitee beginnt und bei der Verwirrung um die ununterscheidbaren "Ls" und "Rs" aufhört. (Sein Darsteller erhält in Konfrontation mit dem unbekannten Außen Gelegenheit zu herrlichen Solonummern.)

Charlotte dagegen unternimmt vorsichtige Annäherungen als dezente Beobachterin und teilt damit letztlich die Perspektive der Regisseurin: Lost in Translation ist der zweite Spielfilm von Sofia Coppola. Nach ihrem Debüt The Virgin Suicides, einer gelungenen Übertragung von Jeffrey Eugenides' gleichnamigem Roman, hat sie diesmal auch die Geschichte selbst geschrieben. Die Regisseurin, Jahrgang 1971, ist, man muss es wohl erwähnen, als Tochter von Francis Ford Coppola auf Filmsets groß geworden. Nach vielen kleinen Auftritten besetzte ihr Vater sie 1990 im dritten Teil des Paten als dessen Enkelin und die Kritik reagierte auf ihre Darstellung mit gnadenlosen Verrissen.

Das Presseheft zu Lost in Translation verweist denn auch ganz knapp nur darauf, dass Coppola vor ihrem Studium als Ausstatterin gearbeitet hat, und angesichts ihrer eigenen Filme scheint dies auch viel relevanter: Mit Genauigkeit und Liebe zum Detail schafft Coppola auf der Leinwand bewohnbare Räume, die über Stimmungen einnehmen und hält dabei Innenwelten, die Befindlichkeiten ihrer Figuren gekonnt in der Schwebe.

Ein weiteres Talent der Regisseurin offenbart sich in der Wahl ihrer Darsteller: Murray verdankt ihr seine schönste Rolle seit Rushmore und Johansson kann hier an Ghost World anschließen - zu beiden Filmen unterhält Lost in Translation eine gewisse Verwandtschaftsbeziehung. Nicht zuletzt, was den sorgfältigen Umgang mit Musik betrifft:

"More Than This", singt Murray irgendwann in einer wunderbar traurig-schönen Karaoke-Einlage. "I Just Don't Know What to Do With Myself", singen die White Stripes in ihrem jüngsten Video. Sofia Coppola hat es inszeniert. Die Musik kommt aus dem Off. Kate Moss tanzt dazu eine seltsam entrückte Go-go-Nummer - mit knappem Bikini, Highheels und Go-go-Stange, allen Versatzstücken zu einem vordergründigen Schauspiel. Und doch gelingt Coppola auch hier, was sie in ihren Filmen vermag: Moss tanzt scheinbar ganz für sich selbst und nicht primär für den Betrachter. Die Lisbon-Schwestern (The Virgin Suicides) bleiben trotz der akribischen Rekonstruktionsarbeit ihrer jugendlichen Bewunderer letztlich unergründbar. Und auch Charlotte, deren Rückenansicht, zusammengekauert auf dem Bett, Lost in Translation überraschend direkt eröffnet, bewahrt bis zum Schluss ein Geheimnis. (DER STANDARD, Printausgabe, 7. 10.2003)