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Wien - Im Fernsehen erläutert der Schweizer Chemiker Albert Hofmann, Erfinder von LSD, den Zusammenhang von Materie und Chemie. Und während er über Ereignisse sinniert, in denen kosmisches Einverständnis herrscht, schwenkt die Kamera über eine unübersehbare Zahl an Post-its, auf denen Notizen stehen wie "Traffic in India": eine Art Montageplan für Peter Mettlers ungewöhnlichen, mehrfach ausgezeichneten Dokumentarfilm Gambling, Gods and LSD.

Dann wird ein Fenster geöffnet, und man sieht ein paar Bäume und hört nur noch das Prasseln des Regens. Die Szene verdeutlicht die Bewegung der Arbeit des schweizerisch-kanadischen Regisseurs: Seine Suche nach menschlichen Anstrengungen, die Wirklichkeit beziehungsweise das eigene Bewusstsein zu überschreiten - sei es mit den Mitteln der Religion, Drogen oder auch bloß in der Konfrontation mit der Natur -, mündet darin immer wieder selbst in Momente der Entgrenzung. Es handelt sich um einen Film über Rauschzustände, erstellt am Übergang zum neuen Jahrtausend im Modus einer Reise, die von Kanada über die USA und die Schweiz bis nach Indien führt.

Ganz zu Beginn filmt Mettler seinen "futuristic fantasy room of the past", die Aussichtsplattform eines Hotels in Toronto, und fragt sich nach dem Staunen, mit dem man als Kind auf die Welt blickte. In gewisser Hinsicht ist sein Film der Versuch der Rückeroberung dieses Sehens, denn er strebt nicht unbedingt nach Erkenntnis; vielmehr geht es darum, Bilder zu entwerfen, die zuallererst sinnlich wahrgenommen werden können.

Dennoch ist Mettler auf globale Gemeinsamkeiten aus, ohne kulturelle Differenzen zu übersehen: Ekstatisch zuckende Körper einer christlichen Massenveranstaltung treffen sich mit fackelschwenkenden Brahmanen in Indien oder euphorisch tanzenden Jugendlichen eines Street- Raves in Zürich. Man wird Zeuge kollektiver Grenzüberschreitungen, die sich zwar über unterschiedliche Wege herbeiführen lassen, im physischen Ausdruck jedoch Ähnlichkeiten aufweisen.

Assoziative Bahnen

Die Bilder dieses Films forschen nach dem Bekannten im Fremden und umgekehrt, Spektakuläres wie die Sprengung eines Hotels steht neben Privatem, Biografischem. Die erzählerische Bahn ergibt sich eher assoziativ, Mettler folgt Flüssen, aber er bedient sich genauso der modernen Mobilität von Flugzeugen. Einen tosenden Gletscherbach lässt er mit einer Blende in eine Disco voller Schaum übergehen. Die Schweiz filmt er als Miniaturwelt und entdeckt dann doch Bollywood bereits in Zürich.

Die interviewten Personen sind Experten für eigenwillige Formen der Transzendenz: In Las Vegas treffen wir den Konstrukteur einer Maschine für elektroerotische Stimulanz, die Leidenschaft der darauf festgeschnallten Frau ist das Kochen von Pastagerichten. "Wie klingt die Stimme von Gott?" (Antwort: wie die Voiceover einer Naturdoku), oder: "Wissen Sie, was Stille ist?" - Mettlers unvermittelte (ernst gemeinte) Fragen fordern ihren Adressaten heraus. Egal ob Wissenschafter, Junkie oder Gottesanbeter, der Filmemacher möchte von ihnen wissen, wie es ist, die Realität zu durchzubrechen.

Die betörende Wirkungsweise von Gambling, Gods and LSD ist das Produkt gezielter Stilisierung: Gemeinsam mit den Musikern Fred Frith und Dimitri de Perrot erarbeitete Mettler das Sounddesign - eines der effektvollsten Mittel dieses Film, die thematisierten Kraftfelder, Energien und Intensitäten gleichsam in eine synästhetische Erfahrung zu übersetzen; Mettler gibt ein genaues Maß für die Wahrnehmung vor, bleibt letztlich aber doch nahe am Essay.

Das Kino wird derart selbst als Medium der Überschreitung der Realität beansprucht, als Droge, die uns die Dinge neu sehen lehrt. Dabei sind es oft unscheinbare Momente, die starken Nachhall erzeugen: dichter Nebel in den Alpen oder eben der irre Verkehr auf den Straßen Indiens. (DER STANDARD; Printausgabe, 11./12.10.2003)