Vor hundert Jahren, am 7. November 1903, wurde Konrad Lorenz geboren. Dieser österreichische Wissenschafter von Weltgeltung, ewig gestrige Nazisympathisant, Nobelpreisträger und altersweise Mahner in Sachen Werteverfall und Ökosystemzerstörung bietet allemal Anlass, zu diesem Jubiläum eine neue Biografie zu verfassen. Klaus Taschwer und Benedikt Föger, beide einschlägige Lorenz-Autoren, haben eine solche unter dem Titel: Konrad Lorenz, im Paul Zsolnay Verlag veröffentlicht.

Auf knapp 300 Seiten versuchen sie die Darstellung von Lorenz' Leben, um, wie sie in der Einleitung schreiben, folgenden Fragen nachzugehen: "Wie und warum setzte sich Lorenz in der scientific community vor und nach 1945 durch? Was an seinem Erfolg war dabei seiner charismatischen Persönlichkeit zuzuschreiben und was seinen gekonnten Popularisierungen?" Darüber hinaus soll auch noch der Versuch unternommen werden, "zu klären, welche Einsichten von Lorenz tatsächlich noch Bestand haben und welche sich als falsch herausgestellt haben".

Ein solches Unterfangen sei, wie die Autoren weiter ausführen, schwierig, weil eine Darstellung des Lebens einer so vielschichtigen Persönlichkeit unweigerlich Kritik aus dem Lager seiner Verehrer, wie auch dem seiner Feinde nach sich ziehen würde. Es ist der Wunsch jedes um Objektivität bemühten Biografen, eine Vita möglichst wahrheitsgetreu zu verfassen, sich also gleichsam in der Mitte zwischen Freund und Feind einzuordnen. Ein Maß für die Objektivität einer Lebensdarstellung sind die dafür verwendeten Quellen. Im vorliegenden Buch macht das Verzeichnis dieser immerhin rund 40 Seiten aus. Zudem können die Autoren mit einer kleinen Sensation aufwarten: Unter Mithilfe von Lorenz' Tochter, Agnes v. Cranach, konnte das lange Zeit verschollen geglaubte Typoskript seiner Autobiografie in Altenberg aufgefunden werden. Gemeinsam mit der 120 Ordner fassenden Korrespondenz des Verhaltensforschers stellt dieses unvollendet gebliebene letzte Werk einen Fundus dar, der neue Fakten und somit neue Einsichten in sein Leben verspricht.

Aber auch ein künftiger Nobelpreisträger muss zunächst einmal geboren werden. Es liegt nahe, schon in der frühen Kindheit nach jenen Anlagen und Fähigkeiten zu suchen, die das spätere Schicksal mitbestimmen könnten. Wir erfahren, dass Konrad Lorenz ein spätes Kind gewesen ist. Seine Mutter Emma war zum Zeitpunkt der Geburt bereits über 40, und der erstgeborene Sohn, Albert, mit damals 18 Jahren schon einjährig Freiwilliger bei der Armee. Die "prägende Kindheit" ist, laut Biografen, davon gekennzeichnet, dass dem Spätgeborenen vor allem weibliche Bezugspersonen zur Seite standen. Vater und Bruder weilten, als international praktizierende Ärzte, zumeist anderswo. Neben der Mutter, an die sich Konrad Lorenz "zeitlebens mit Liebe und Dankbarkeit erinnerte", waren das seine Tanten und die Bediensteten des großen Haushaltes in Altenberg.

Nach den rund 20 Seiten des ersten Kapitels ist Konrad Lorenz dann schon Medizinstudent an der New Yorker Columbia University. Der Aufenthalt in Übersee, wo Vater und Bruder eine Praxis unterhielten, ist allerdings nur ein kurzes Zwischenspiel. Die Rückkehr nach Österreich führt ihn an die Universität Wien, wo er ab 1923 ebenfalls Medizin zu studieren beginnt. Am Ende des vierten Kapitels, auf Seite 61, schreiben wir bereits das Jahr 1937. Lorenz ist dann schon seit zehn Jahren verheiratet, ist graduierter Mediziner und habilitierter Zoologe. Nun folgt die Zeit seines wissenschaftlichen Höhenfluges. Im ständestaatlichen Österreich der Ersten Republik wird dieser so weit behindert, dass sich Lorenz nicht nur bezüglich seiner beruflichen Karriere, sondern auch ideologisch nach dem Deutschland der Nationalsozialisten ausrichtet. Der lang erträumte Ruf an eine Universität erfolgt erst 1940, also nach dem so genannten Anschluss.

Die folgenden Kapitel sind vor allem von zwei Aspekten gekennzeichnet: Zum einen setzen sich die Autoren ausführlich, wie auch schon in ihrem 2001 erschienen Buch: Die andere Seite des Spiegels, mit seiner Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus auseinander. Dieser Schatten begleitete Konrad Lorenz bis zuletzt und so ganz überzeugend waren auch seine späteren Distanzierungsversuche nicht gewesen. Der zweite Hauptaspekt gilt dem wissenschaftlichen Werdegang. Hier dienen vor allem die vielen Zitate aus Lorenz' Korrespondenz dazu, die Hintergründe seines Werkes in einem neuen Licht darzustellen. In den letzten Kapiteln wird dem Namenspatron des Konrad-Lorenz-Volksbegehrens, dem Kernkraft- und Hainburggegner gebührende Reverenz erwiesen.

Am Ende der Lektüre über das keineswegs uninteressante und ebenso widersprüchliche Leben des "letzten großen Naturforschers" angelangt, entsinnt man sich wieder der von den Autoren in der Einleitung gestellten Fragen. Allein, die Antworten darauf wollen sich nicht wirklich einstellen. Ein Grund dafür könnte in dem, im Fortlauf des Textes zunehmenden, "Tunnelblick" der Autoren liegen. Schon Lorenz' Kindheit wird fast ausschließlich unter dem Aspekt des späteren Verhaltensforschers dargestellt. Der Umgang mit der ganz alltäglichen Lebensentropie sowie dem lebensgeschichtlich nicht uninteressanten historischen Kontext der ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts wird zugunsten von frühen "Tierhaltungsanekdötchen" vernachlässigt. Dieses Versäumnis geht sogar so weit, dass der Leser/die Leserin z.B. über das Schicksal von Mutter und Bruder vollständig im Unklaren gelassen werden. Zu groß scheint die Verlockung gewesen zu sein, die in seiner Person verankerte Dialektik zwischen dem NSDAP-Mitglied Konrad Lorenz und dem Vater der Graugänse auszuweiden. Den Autoren passieren da auch recht peinliche Verkürzungen. So erwähnen sie etwa den Biologen Ernst Heaeckel ausschließlich als "ideologischen Vorläufer des Nationalsozialismus".

Auch die Bewertung von Lorenz' wissenschaftlichem Werk ist keineswegs einheitlich. Wird er an einigen Stellen als "Schlüsselfigur des 20 Jahrhunderts" bezeichnet, der offenbar nicht zu Unrecht mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde, befindet sich anderswo sein wissenschaftlicher Stern längst im Sinken. Die mitunter im Text enthaltenen Erklärungen seiner wissenschaftlichen Thesen vermögen diese textliche Inkohärenz auch nicht aufzulösen. Neben den sich im Sande verlaufenden biografischen Spuren ist die unzureichende wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der wirklich zeitgenössischen Ethologie, die eine gerechte Bewertung seines Stellenwertes erlauben würde, der zweite große Mangel dieser Biografie. Zumindest die letzte zu Beginn von den Autoren gestellte Frage bleibt also über das Ende des Buches hinaus unbeantwortet. []

Benedikt Föger und Klaus Taschwer, Konrad Lorenz. Biographie. € 25,60/344 Seiten. Zsolnay, Wien 2003.

Harald Wilfing ist Vorstand des Institutes für
Anthropologie der Universität Wien.
Forschungsarbeiten im Bereich Humanökologie.
Zuletzt erschienen: Winiwarter & Wilfing (Hg.):
Historische Humanökologie. facultas 2002.