Sushi-Roller nach dem Prinzip einer Zigaretten-Rollmaschine

"Top Table" - eine kongeniale Kreuzung aus Spielplatzoptik und Schreibtischknechterei

"Lebensinsel" - sechs baugleiche Elemente die sich mit einem Handgriff von einem flachen Hocker zu einem Tisch verwandeln lassen

Sie sind unverbesserlich. Immer noch und immer wieder: Männer, denen es gefällt, im Stehen - nun ja - zu urinieren. Gänzlich unbeeindruckt von Hinweisschildern, Mahnungen und gut gemeinten grafischen Belehrungen, die auf Klodeckeln und Spülkästen angebracht sind. Doch nun erreicht uns die rettende Meldung. In Berlin tüfteln Designer an einer Kloschüssel, die Linderung verspricht. Eine Kombination aus Pissoir und Toilettenthron, der sich flugs von diesem in jenes Sanitärmöbel verwandelt.

Ein Griff zur Klobrille - ihn führen einige der Herren, die noch eine gewisse Rest- erziehung erkennen lassen, immerhin noch aus, bevor sie ihr Geschäft erledigen - genügt. Kaum hebt sich die Brille, schon schwenkt das Becken nach oben. So zumindest stellen sich Blasius Osko und Oliver Deichmann das Klo der Zukunft vor.

Gemeinsam geben sich beiden 28-jährigen Designer als Wunschforscher aus. Schon seit fünf Jahren tüfteln sie an Produkten herum. Wobei sie, insbesondere in jüngerer Zeit, die fehlerhafte Verwendung alltäglicher Dinge interessiert. "Unser Ziel", so sagt Oliver Deichmann, "ist es, unbewusste Wünsche herauszukitzeln". Und das nicht nur im Feuchtraum.

 

Nicht Eleganz oder Ästhetisierung steht  im Vordergrund, sondern Sympathie

Auch im Wohnraum haben sich Missbräuche eingebürgert, die nach speziellen Produkten verlangen. Wer hätte nicht schon einmal den Wunsch verspürt, die Füße auf den Tisch zu legen - ohne dabei strafende Blicke einzufangen. Hierfür haben die Berliner nun einen Couchtisch entworfen. Unter der Tischplatte verbergen sich Kissen, die bei Bedarf herausgezogen und auf der Platte positioniert werden können. So finden die lahmen Beine Ruhe, ohne die Etikette mit Füßen zu treten. Allerdings fällt der Tisch aus dem Raster des ansonsten eher kurios anmutenden Produktsortiment der Berliner. Immerhin könnte das Möbel in jedem Möbelkaufhaus stehen, würde, sofern es einen Produzenten findet, dort nicht über Gebühr auffallen. So etwas nennen die Berliner dann "ein kommerzielles Möbel." Jene Produktkategorie, die sich durch Eleganz und formale Präzision vermittelt. Aber gerade darum geht es den jungen Designern nicht so sehr.

"Bei uns", so erklärt Oliver Deichmann, "steht nicht Eleganz oder Ästhetisierung im Vordergrund. Sondern Sympathie." Die wollen sie wecken, indem sie schlichte Probleme lösen. Etwa mit dem Re-Design eines Klassikers, der 90 Prozent der italienischen Haushalte ziert. Die achteckige Espressomaschine "Mokka Express", die 1933 von Alfonso und Renato Bialetti entworfen wurde und sich seither zum wohl meistverkauften Küchengerät aus Italien mauserte - obwohl sie mit einem offensichtlichen Mangel behaftet ist: Dem Einstiegsmodell in die gehobene Kaffeekultur fehlt ein Dampfhahn. Also haben die Berliner einen Hahn dran geschraubt, mit dem sich nun auch Milch für den Latte Macchiato aufschäumen lässt. Im Selbstvertrieb bringen sie das vervollständigte Küchengerät nun unters Volk. Im Prinzip der einzige Weg, auf dem sich derlei abwegige Nischenprodukte überhaupt vertreiben lassen. Denn gigantische Stückzahlen sind kaum abzusetzen.

"Sushi-Roller"

Wie bei der zweiten Küchenhilfe, die dem Labor der Wunschforscher entstammt: ein Sushi-Roller, der nach dem Prinzip einer Zigaretten-Rollmaschine konstruiert ist. Womit nun auch laienhafte Europäer in die Lage versetzt werden, Sushi-Röllchen zu formen. Für die Genusswissenschaftler ist das Gerät fast schon ein Bestseller - gemessen an den anderen Entwürfen. Fertigen sie doch rund 100 dieser Geräte im Monat, die in einigen Läden und Museumsshops, etwa im Guggenheim-Museum Berlin, für 35 Euro angeboten werden.

"Top-table"

Nicht ohne Zufall gelangen die Querköpfe zu ihren überraschenden Produkten. In ihrem Büro haben sie ein Möbel im Einsatz, das ihren Visionen auf die Sprünge hilft: der "Top-Table", ein Arbeitstisch, der eine kongeniale Kreuzung aus alberner Spielplatzoptik und nüchterner Schreibtischknechterei darstellt. Mit diesem Möbel kann, wer visionär arbeiten will, "zwischen spielerisch-emotionalen und rational-technischen Vorgehensweisen wechseln," so erklären die gestaltenden Wissenschaftler. Oben, auf dem Stuhl, der über der Tischplatte montiert ist, blickt der Forscher, befreit von jedem Bodenkontakt, in die Zukunft; ändert die Perspektiven, verlässt den hemmenden Boden trister Tatsachen. Führt dies zu neuen Ideen, rutscht er eilig hinab, setzt sich, arbeitet bis zur Ermüdung an der Zukunft. Bis ihn die Müdigkeit packt. Dann wird eine Pause eingelegt. Auf der Rutsche, die als Bindeglied zwischen spekulierendem Spähen und platter Plackerei vermittelt: Hier wurde Arbeit und Freizeit wirksam neu erdacht.

"Lebensinsel"

Ein Thema, das die beiden schon seit längerer Zeit beschäftigt. Schon vor vier Jahren entwickelten sie einen modularen Schlaf- und Arbeits- und Essbereich, dem sie den etwas pathetischen Namen "Lebensinsel" gegeben haben. Diese besteht aus sechs baugleichen Elementen, die sich jeweils mit einem Handgriff von einem flachen Hocker, zu einem Tisch verwandeln lassen. Zueinander entsprechend unterschiedlich gruppiert entsteht einmal ein breites Bett, eine Liege oder eben ein Arbeitsplatz. Gedacht ist das Möbel für Großstadtnomaden, von denen es in Berlin offenbar genügend gibt. Denn auch dieses Möbel wird inzwischen in Eigenregie produziert und vermarktet: Die Nachfrage entscheidet, ob die Designer gelegentlich zu Produzenten werden. Bleibt abzuwarten, wie das Klo der Zukunft auf's Publikum wirkt. Schon bald könnten die selbst ernannten Wissenschaftler die Branche wechseln. Und Pinkelbecken produzieren. (Knuth Hornbogen, DER STANDARD, rondo/17/10/2003)