Graz - "Das Wort Installation kann ich schon nicht mehr hören, das geht mir so auf die Nerven", sagt Gerhard Fuchs, Germanist im Literaturhaus Graz, angesichts der sechsten und letzten Baustelle des Graz-2003-Projektes "Sprachmusik". Deshalb wurde jenes dreiräumige, begehbare Stück Literatur, das die Rolle von Musik in und zu den Texten Elfriede Jelineks veranschaulichen soll, schlichtweg "Wort-Klang-Projekt" getauft. Und Freunde nennen es "Piano Forte".


Flucht in die Sprache

Die Disziplin, die das Beherrschen eines Instrumentes erfordert, und die strengen Regeln der Musik seien Jelinek, die 1971 ihre Orgelabschlussprüfung ablegte, zu eng gewesen, erzählt Fuchs, "das Schreiben war für sie anfangs wie eine Flucht in die Sprache". Trotzdem ist die Musik als ein sehr wichtiges Element im Leben der 57-jährigen Autorin nie ganz verstummt.

Im Roman "Die Klavierspielerin" (1983) wird ein Teil der eigenen frühen Biografie verwoben. Musiktheoretische Essays, die intensive Beschäftigung mit Franz Schubert und nicht zuletzt die Libretti, die Jelinek schrieb, sind nicht nur roter Faden, sondern auch Kernstück ihres Werks.

Im mittleren der drei Jelinek-Räume - ihre optische Realisierung übernahm Alexander Kada, wie auch bei den Skulpturen, Kammern und Rauminstallationen für Peter Handke, Thomas Bernhard, Gerhard Rühm, Gert Jonke und Werner Schwab - liegen die stilisierten Instrumente der Sprachmusikerin. Der große schwarze Deckel eines Flügels und die überdimensionale Tastatur eines PCs - ebenfalls in düster glänzendem "Bösendorfer-Schwarz" gehalten - beschallen Besucher an zwei Sargdeckel ermahnend mit Texten und Musik. An den Wänden leuchten Sätze und Worte im wiederkehrenden Rhythmus auf. Etwa in einer Passage aus "Rosamunde", das als Teil der Trilogie "Der Tod und Mädchen" im steirischen herbst 2002 uraufgeführt wurde.

Der Tod und das ständige Kreisen ums Nichts ist allgegenwärtig: Die beängstigend großen Klaviere in einem anderen Raum erinnern auch an Granitblöcke, die darauf warten, vom Steinmetz in Grabsteine umgewandelt zu werden. An ihnen sitzend und sich im Schwarz spiegelnd kann man Hörproben der Komponistinnen Olga Neuwirth und Patricia Jünger konsumieren. Allesamt wurden sie zu oder mit Jelinek-Texte komponiert.

Neuwirth vertonte unter dem Titel "Todesraten" Teile des Theatermarathons "Ein Sportstück" und schuf die Oper "Bählamms Fest" zum Jelinek-Libretto. Außerdem zu hören: das frühe Gedicht "meine liebe" aus dem Jahr 1966, zu dem die Schriftstellerin selbst die Musik arrangierte. "ich kenne deine leeren hände nicht . . .", tönt es da.
Die vermeintliche Leere, welche die Dramatikerin Jelinek mit oft kühlen Äußerlichkeiten ihrer Sprache bedeckt, sind dem Regisseur Ernst M. Binder, für den Jelinek neben Heiner Müller und Peter Handke zu den größten Schreibenden unserer Zeit gehört, Herausforderung und Reiz. "Der Weg über die glatte Oberflächlichkeit führt in die Tiefe", erzählt Binder über die Probenarbeit zu "Das Schweigen. Einer dieser vergeblichen Versuche", dessen Premiere diesen Sonntag den Jelinek-Schwerpunkt vervollständigt.

Für Binder ist Jelinek mit ihren vielschichtig interpretierbaren Texten, die man mit größter Genauigkeit lesen solle, seine "liebste Alltags-Zen-Buddhistin".


Zurück in den Uterus

Konzentriert sich die Ästhetik der "Jelinek-Schauräume" auf das Äußere, Kalte, so kann man sich im Osttrakt des Literaturhauses in eine Welt der Wärme verkriechen. Der Lautdichter Gerhard Rühm, für den die Musik nicht nur Thema, sondern Baustein seiner Literatur war und ist, wollte im 1974 entstandenen Hörstück "foetus" auf den gemeinsamen Ursprung von Sprache und Musik verweisen. Paul Pechmann, ebenfalls im Literaturhaus ansässiger Germanist, lässt das Stück im "Schoß der Natur" abspielen.

Wer fröstelnd vom "Piano Forte" kommt, darf sich durch eine mächtige Kunststoffvagina zwängen, um sich im dahinter gelegenen dunkelroten Mutterleib einzunisten. In dieser - je nach Temperament - beengenden oder anheimelnden Atmosphäre kann man einer Neuaufnahme des Sprechkonzertes "foetus" lauschen - und sich dabei selbst wie einer fühlen.

(DER STANDARD; Printausgabe, 18.10.2003)