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Gus Van Sant

Foto: REUTERS/Vincent Kessler

"Elephant"

24.10., Gartenbau, 20.30

25.10., Urania, 11.00

30.10., Urania, 18.30

Foto: Viennale

Auch der Gewinner der Goldenen Palme der Filmfestspiele in Cannes ist bei der Viennale zu sehen: Anmerkungen zu Gus Van Sants Highschool-Drama "Elephant" und Impressionen eines Gesprächs mit dem US-Regisseur.


Das mit dem Elefanten im Titel ist eine vieldeutige Angelegenheit. Manchmal sagt Gus Van Sant in Interviews: "Der Druck des amerikanischen Erziehungssystems und die Unfähigkeit zur Kommunikation mit der Vorläufergeneration - sie lasten auf den US-Jugendlichen wie - ja, eben wie ein tonnenschwerer Elefant."

Oder: "Es gibt dieses schöne Gleichnis: Ein Elefant in einem kleinen Raum. Absurd. Noch absurder aber ist: Die Menschen, die ihn sehen und beschreiben wollen, kommen ihm in diesem kleinen Raum notgedrungen zu nah. Sie verlieren die Perspektive auf das Ganze. Also beschreiben sie nur Details und jeder für sich ein völlig anderes Wesen." Kurz: Eigentlich könnte Elephant auch "Der Wald und wie man ihn vor lauter Bäumen nicht erkennt" heißen. Aber das ist zugegebenermaßen ein etwas schwerfälliger Titel für einen ziemlich kompakten kurzen Film.

Ausgangspunkt: Das Highschool-Massaker in Columbine, zuletzt eines der Ausgangsmotive für Michael Moores Bowling for Columbine - und viele Fragen. Viele Deutungen, die eben auch immer wieder Facetten herausgreifen. Was treibt zwei junge Burschen dazu, sich mit Sturmgewehren zu bewaffnen und auf seltsam ziellose und zugleich monotone Weise alle Mitschüler und Lehrer über den Haufen zu schießen, die ihnen in die Quere kommen?

Gus Van Sant glaubt, wie er im Interview bemerkt, nicht daran, "dass man so einem Amoklauf mit linearen Erklärungen beikommt, erst recht nicht, wenn man das im Rahmen eines Spielfilms, also durchaus als Künstler tut." Das College, in dem er also mit jugendlichen Laiendarstellern gedreht hat, ist bei ihm also eher ein Bienenstock oder ein Termitenbau, dem man sich quasi mit naturwissenschaftlichem Blick von außen nähert.

Immer wieder kippt die Handlung zurück zu einem Neustart, immer wieder nähert sich Elephant mit anderen Schülern dem Gebäude, um dieses im Verlauf eines Vormittags auf jeweils anderen Pfaden, entlang anderer Interessenslagen zu durchkreuzen. Und manchmal nimmt man dann eben nur aus den Augenwinkeln zwei junge Typen in Söldneroutfit wahr, die sich der Schule nähern. Oder man registriert die beiden Killer ganz bewusst, so wie einer der Protagonisten des Films, dessen Warnrufe einigen Passanten das Leben retten.

Fragmente einer Chronologie . . .

Als Versuchsanordung über Koinzidenz und Gewalt rückt Elephant in eine gewisse Nähe zu Michael Hanekes 71 Fragmente einer Chronologie des Zufalls. Das mag überraschen, wenn man weiß, wie fern Gus Van Sant als Jugendporträtist in Meisterwerken wie Drugstore Cowboy oder My Private Idaho dem Kulturpessimismus seit jeher war. Erst wenn man mit ihm spricht, kommt denn auch etwas zum Tragen, das der Film nur zeitweilig nachvollziehbar ausstellt: eine tiefe Sympathie mit jungen Menschen, die kaum noch die Gelegenheit zur Revolte haben - erst recht, nachdem die Revoluzzer vor ihnen, so Gus Van Sant, "heute die unpolitischsten Mitläufer sind".

"Mein Gott, was haben wir nicht alles ausprobiert: von Linkslinks bis freie Liebe und Drogen und Underground - und heute ist meine Generation saturierter denn je. So viel Hang zur Etabliertheit war noch nie. Und die Kids - irgendwie ist es für sie ziemlich diffus, wogegen sie sich jetzt auflehnen sollen. Und vor allem: wie? Alles geht. Alles ist angeblich möglich - und doch nicht. Es bleibt im Prinzip die gleiche Mischung aus Unbehagen und Wut, wie sie schon meinereiner empfunden hat - aber wer ist jetzt der Reibebaum, der Gegner?"

Besonders bezeichnend ist aus dieser Perspektive der Auftakt von Elephant: Timothy Bottoms, der da einen bis an den Rand zur geistigen Verwirrtheit sanften Vater gibt, war einst einer der Teenager-Helden, denen in Peter Bogdanovichs The Last Picture Show in einem kleinen Kaff auch nur zwei Auswege geblieben wären: abhauen oder Destruktion. Letztere richtete sich dann freilich ausschließlich gegen den Verzweifelten selbst. Und so ist es für Gus Van Sant eigentlich auch im Fall der zeitgenössischen Amokläufer: "Sie begehen Selbstmord - aber sie reißen andere in ihren Freitod mit hinein."

Dass Elephant trotz einer derartigen Ferne zu jeder "Moral" und Botschaft trotzdem manchmal ein wenig wie ein Schnellkursus in Sachen Jugend und Gewalt wirkt, war in Cannes übrigens durchaus umstritten. Jene zehn Minuten, in denen sich die beiden Killer-Kids bei gepflegter klassischer Klaviermusik zu Computerspielen gewaltverherrlichend langweilen, bis endlich der Postbote mit den Schnellfeuerwaffen kommt - sie grenzen in allzu simpler Verdichtung eines weiten Konfliktfeldes an Selbstparodie. Und junge Mädchen, die beim gemeinsamen bulimischen Abkotzen auf der Toilette erschossen werden: Sie mag es gegeben haben. Im Film kommt das Ganze ebenso krampfhaft vieldeutig herüber wie Andeutungen von Homoerotik zwischen den Tätern.

Andererseits: Oft blitzt er dann doch auf - jener Gus Van Sant, der Landschaften und Wetterstimmungen malerisch einfangen kann, bis sich die Protagonisten vor wild bewegten Horizonten selbst ein Rätsel sind. Aber wie sie sich dabei bewegen, wie sie gewissermaßen Stars des Alltags werden (so wie damals Keanu Reeves und River Phoenix in My Own Private Idaho ) - das muss man gesehen haben. Man kann getrost sagen: In Elephant präsentiert sich eine ganze Talentschmiede des amerikanischen Kinos von morgen: Alex Frost, Eric Deulen, John Robinson, Elias McConnell, Jordan Taylor und die anderen: Von ihnen wird man noch viel hören und sehen. (DER STANDARD, Printausgabe, 21.10.2003)