Foto: Sanctuary
SPIRITUALIZED Amazing Grace ( Sanctuary ) Nach dem symphonischen Feedback-Gospel-Wall-of-Sound-Meisterwerk Let It Come Down legt es der britische Eigenbrötler mit Begleitmusikern wie dem von den alten Elektronik-Saubartln Coil bekannten Keyboarder Tighpaulsandra dieses Mal vom Line-up her etwas reduzierter an. Zwar beschwört Pierce nach wie vor zwischen monomanischen Noise-Attacken und repetitiven Gitarren-Drones jene musikalische Mischung aus klassischen Minimalkompositionen von Steve Reich und dem räudigen Schaffen von Velvet Underground in deren White Light/White Heat-Phase. Die beseelten und vom hochgradig emotionalen Gestus her an Kirchenlieder angelehnten Stücke (siehe Albumtitel und das links abgebildete Cover) entwickeln allerdings auch mit schlanker Besetzung wieder eine tektonische Festigkeit, die den bewährten Wall of Sound zur unkaputtbaren Klagemauer wachsen lässt. Es ist die Kraft und die Herrlichkeit - in Ewigkeit, Amen. Lord, let it rain on me. Eines der wunderbarsten Alben des Jahres. THE DESERT SESSIONS 9 & 10 (Universal) Josh Homme von den derzeit besten und drogenverseuchtesten Rockern der Welt, den formidablen Queens Of the Stone Age, hat sich in seiner Freizeit wieder einmal Freunde von Bands wie Masters Of Reality, Ween, Danzig oder Marilyn Manson eingeladen, um gemeinsam neben der Einnahme lokal wachsender Substanzen ein wenig Musik zu machen. Da dieses Mal auch die britische Songwriterin und Alternative-Rock-Heldin P. J. Harvey mit dabei war, die auf den meisten Stücken singt, erscheinen die aktuellen Sessions also erstmals bei einem großen Konzern. Der zerfledderte, widerborstige Folk-Blues-Rock Harveys, der auch oft das Schaffen Patti Smiths streift, klang zuletzt 1995 derart kraftvoll wie hier: Ton Bring You My Love . Lang ist's her. THE HANDSOME FAMILY Singing Bones (Carrot Top) Das US-Ehepaar Brett und Rennie Sparks produziert daheim im Wohnzimmer seit Mitte der 90er-Jahre die schönsten Platten des erweiterten Country-Genres. Der sanfte Bariton des Instrumentalisten Brett, der zudem herzergreifend verhuschte, sanftmütige und melancholische Melodien schreibt, darf allerdings über eines nicht hinwegtäuschen: Gattin Rennie kann es textlich oft mit den ganz Großen des schattseitigen Balladenfachs aufnehmen. Stichwort: Nick Cave. JUNE CARTER CASH Wildwood Flower (Hoanzl) Bis kurz vor ihrem Tod am 15. Mai dieses Jahres arbeitete June Carter Cash gemeinsam mit ihrem Mann Johnny und dem gesamten Familienclan an diesem posthum erschienenen Album. Für Europa ist es jetzt auch erst nach Johnnys Tod am 12. September lizensiert worden. Mit gebrochener und Gänsehaut erzeugender Stimme, weit entfernt vom hellen Klang früherer Tage, machen sich die Cashs an die Neubearbeitungen alter Country-Klassiker der Genre-Keimzelle Carter Family, großteils komponiert von Junes Onkel A. P. Carter in den 20er- und 30er-Jahren. Zu hören: wunderbare Neudeutungen von Keep On The Sunny Side oder Will You Miss Me When I'm Gone . Besonders bewegend auch, das einst in dessen "schwieriger" Phase von June für Schwerenöter Johnny komponierte Kneeling Drunkard's Plea. (DER STANDARD, Printausgabe, 24.10.2003)