"Tendenz zur Selektion"
"Aus der Ärzteschaft selbst, die dem Heilen und Helfen verpflichtet ist, müssten mehr Stimmen kommen, die vor der drohenden Tendenz zur Selektion zwischen gesunden und krankheitsgefährdeten Embryonen warnen", so der Diözesanbischof. Kapellari betonte, dass in der katholischen Moraltheologie lediglich eine schwere Gefahr für das Leben der schwangeren Mutter als Begründung für eine Abtreibung zugelassen ist, während die In-Vitro-Fertilisation sowie jede Form der verbrauchenden Embryonenforschung "prinzipiell abgelehnt" werden. Hier könne auch wohl gefordert werden, dass ÄrztInnen "entschiedenen Widerstand gegen eine zu befürchtende Ausweitung medizinischer Indikationen leisten, wie sie durch das genetische Screening möglich geworden sind", hielt der katholische Würdenträger fest.
Schroeder: Ignoranz gegen Frauenleid
Ignoranz gegenüber dem Leid jener Frauen, die sich sehnlich ein Kind wünschen, wirft die in Wien lebende und lehrende Genetikerin Renee Schroeder der katholischen Kirche vor. Die österreichische Wittgenstein-Preisträgerin tritt klar für die künstliche Befruchtung bis hin zur Ermöglichung der Adoption von Embryonen ein.
"Die katholische Kirche will die Leiden der Frauen nicht wahrnehmen", so Schroeder in ihrem Grundsatzreferat. Von Seite der Kirche könne man sich lediglich vorstellen, die künstliche Befruchtung von einer einzigen Eizelle zur Erfüllung des Kinderwunsches zu akzeptieren. Im Regelfall werden in IVF-Instituten aber mehrere Embryonen kultiviert und bis auf den implantierten Embryo eingefroren, um für den Fall, dass keine Schwangerschaft zu Stande kommt, weitere Embryonen parat zu haben. "Es ist einfach nicht egal, ob sich die Frauen mehrmals der schmerzhaften Prozedur der Eizellabnahme unterziehen müssen, oder nicht." Das wolle die Kirche allerdings nicht hören, so Schroeder.
Definition des Embryos
Schroeder wird nicht von Bedenken hinsichtlich der Kultivierung mehrerer Embryonen im Zuge der IVF geplagt. "Die Frage ist, wie definieren wir einen Embryo: Aus meiner Sicht hat ein Achtzeller das Potenzial ein Mensch zu werden - aber nur dann, wenn er auch eine Mutter findet", so Schroeder. Völlig anders ist hier die Ansicht der katholischen Kirche gelagert: "Alle Argumente, die den Beginn menschlichen Lebens und den Anspruch auf volle Personenwürde auf einen späteren Zeitpunkt als den der Verschmelzung von weiblicher Eizelle und männlicher Samenzelle verlegen, begünstigen eine schrittweise Abflachung ethischer Hemmschwellen", so Bischof Kapellari in seinem Statement.
Die österreichische Regelung, dass die so genannten "überzähligen Embryonen", die im Zuge der IVF entstanden sind, nach einer einjährigen Aufbewahrungsfrist vernichtet werden müssen, bezeichnete Schroeder als "das dümmste Gesetz überhaupt". "Nach einem Jahr zerstört man sie, indem man sie in einem Druckkochtopf kocht", so die Forscherin. In anderen Ländern, beispielsweise Australien, würden die Embryonen so lange aufbewahrt, bis die Mutter bekundet, dass sie keine weiteren Kinder mehr will. Eine ähnliche Regelung wünscht sich Schroeder auch für Österreich.
Die am Institut für Mikrobiologie und Genetik der Uni Wien lehrende Forscherin tritt auch dafür ein, dass Embryonen zur Adoption freigegeben werden: "Warum sollte eine Frau ihrer kinderlosen Schwester nicht eine Eizelle spenden dürfen, damit auch ihr Kinderwunsch in Erfüllung geht?", so Schroeder. Eizellentnahmen sollten allerdings nur unter beschränkten Umständen und nur dann, wenn auch wirklich eine Schwangerschaft herbeigeführt werden soll, erlaubt werden, schränkte Schroeder ein.
Grazer Sozialarbeiterin: "Behinderte als Betriebsunfälle"
Mit Hilfe medizinischer und gentechnischer Methoden können immer früher immer mehr Auffälligkeiten am Embryo und Fötus festgestellt werden. Parallel dazu wächst der Druck auf Frauen, alles für ein gesundes Kind zu tun und zu verhindern, ein Kind mit Beeinträchtigungen zur Welt zu bringen. "Behinderte Menschen drohen zu vermeintlich vermeidbaren 'Betriebsunfällen' zu werden", so die Grazer Behindertenbetreuerin Hermengilde Ferrares.
"Pränatale Diagnostik fungiert als Türöffner, wonach so genanntes lebensunwertes Leben wieder selektiert werden darf", kritisiert Ferrares, Leiterin der Grazer Behinderteneinrichtung Mosaik. Es gelte immer öfter als selbstverständlich, prognostizierte Beeinträchtigungen zu vermeiden, indem man sich bewusst gegen das entstehende Leben entscheidet.
Keine positiven Bilder
Dabei habe die vermeintliche "Machbarkeit" eines gesunden Kindes im zunehmenden Maße Auswirkungen auf die Einstellung der Gesellschaft: "Gesellschaftliche Abwertung behinderten Lebens und die Abtreibung nach positiver Pränataldiagnostik bedingen einander", so Ferrares. Allein der Umstand, dass kaum positives Bilder eines Lebens mit behinderten Kinder transportiert werden, führe dazu, dass sich wenige Eltern für ein prognostiziert behindertes Kind entscheiden würden. Tatsächlich liege die Abtreibungsrate bei positiver Diagnose auf Trisomie 21 (Down-Syndrom) bei 90 Prozent.
Ferrares wies auch darauf hin, dass die Forcierung bestimmter vorgeburtlicher Screenings die Tatsache verschleiere, dass damit nur ein Teil der Risken erhoben werden kann, die es für die Geburt eines "Hauptsache gesund-Kindes" gibt. "Von den 382 Menschen, die wir in Graz betreuen, hätte man bei 44 ein eventuelles Risiko diagnostizieren können. Sie hatten die Gnade der frühen Geburt und wurden nicht durch Screening-Methoden in Frage gestellt", betonte die Behinderten-Betreuerin. Bei einem wesentlich größeren Teil ihrer Klienten gehe die Behinderung auf unzureichende soziale Bedingungen zurück, in denen sie groß werden mussten. "Hier gilt es, Prävention zu forcieren", so Ferrares.
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