Der Ehre wegen hat sich in Österreich noch nie jemand Sorgen um zu wenig Anerkennung machen müssen, vom Ehrenkreuz bis zum Ehrengrab ist ein breites Angebot vorhanden. Der Existenz wegen sind die Sorgen von Berufsgruppen, die in das soziale Grundschema, selbstständig oder unselbstständig, nicht passen, dafür umso größer: speziell in Berufen, in denen sich das soziale Elend im Sozialstaat genauso ausgedrückt hat, wie sich durch sie das Ideal in der sozialen Verelendung ausdrücken lässt, den künstlerischen Berufen.

Die große Mehrheit der Künstler hat nie vom Sozialstaat profitiert, und sie profitiert genauso wenig von der Marktwirtschaft. Preise, Stipendien und soziale Zuschüsse waren daher schon immer der Ersatz dafür, dass es weder sozial-oder steuerrechtliche Vorkehrungen, noch marktwirtschaftliche Voraussetzungen für die Ausübung künstlerischer Berufe in Österreich gab. Es ist kein Zufall, wenn das erste auffälligere Auftreten von Berufsschriftstellern mit der Einführung der ersten Jahresstipendien und der Systematisierung der Vergabe von Staatspreisen in den frühen 70er-Jahren zusammenfällt.

Rund 30 Jahre später werden mit wesentlich mehr Preis- und Stipendienaufwand immer noch die alten Schwächen kaschiert. Von einem funktionierenden Sozialsystem für Künstler kann keine Rede sein, dafür können bei Nachweis der beruflichen künstlerischen Tätigkeit und Bedürftigkeit Zuschüsse zur Begleichung der Pflichtversicherungsbeiträge aus öffentlichen Mitteln beantragt werden. Steuerliche Anpassungen würden die Künstler privilegieren, gelten aber für Erfinder (Hälfte-Steuersatz) oder Sportler (Drittel-Steuersatz) als angemessen. Der einzige überhaupt bestehende Markt der öffentlichen und öffentlich-rechtlichen Einrichtungen wurde und wird privatisiert, den weiter bestehenden öffentlichen Einrichtungen werden die Mittel entzogen. Wer dennoch als Künstler arbeiten will, ist zum Zustandebringen eines Einkommens auf Preise und Stipendien verwiesen oder muss sich seinen Markt außerhalb Österreichs suchen. Preise und Stipendien leisten somit alles, wofür der Staat sonst nichts tut und wofür der Markt schon deshalb nichts tun kann, weil er sich nicht mit Größenordnungen aufhält, die unter seiner Wahrnehmungshöhe liegen.

Mit rund 600 Stipendien und Prämien für Autoren aus Bundesmitteln und rund 400 weiteren Vergaben aus sozialen Einrichtungen pro Jahr findet diese Situation ihren deutlichen Ausdruck. Die jährlich aus Bundesmitteln in allen literarischen Disziplinen an Schriftsteller, Übersetzer, Kritiker, Publizisten vergebenen rund 20 Literaturpreise nehmen sich dagegen eher bescheiden aus. Bezeichnenderweise verhält sich die österreichische Kulturpolitik in ihrer Förderungspraxis vollkommen anders als in ihren politischen Entscheidungen. Während sie bei gesetzlichen Maßnahmen bemüht ist, die Zahl der infrage kommenden Künstler möglichst zu reduzieren, erbringt sie in ihrer Förderungspraxis selbst den Gegenbeweis deutlich höherer Zahlen professionell arbeitender Künstler. So werden beispielsweise nur ein paar Dutzend Autoren vom bundesgesetzlich eingerichteten Künstlerpensionsversicherungszuschussfonds als zuschussberechtigte Schriftsteller akzeptiert, aber hHunderte von Autoren pro Jahr für förderungswürdig gehalten.

Zu diesem Grundwiderspruch hat sich in den letzten Jahren der verordnete Verteilungskampf geschlagen. Eingeleitet wurde er in der letzten rot-schwarzen Legislaturperiode durch die geplante Abschaffung der Klein- und Kleinstförderungen zugunsten von wenigen Großförderungen und ihre versuchte Übertragung auf die Bundesländer, fortgesetzt wurde und wird er seit dem Regierungswechsel zu Schwarz-Blau mit Ausspielversuchen erfolgreicher Künstler gegen erfolglose, der Bundesländer gegen die Stadt Wien und einzelner Künstler gegen künstlerische Institutionen, wobei sich der Erfolg in erster Linie in der Zuerkennung von Förderungen beweist und in zweiter Linie im Anhängen an in Österreich nicht mögliche Markterfolge.

Trotz eines relativ bescheidenen staatlichen Ausgabenrahmens für Literatur mit einem Jahresförderungsbetrag von rund neun Millionen Euro für Verlage, Zeitschriften, Veranstaltungen, Organisationen, Autoren und soziale Zuschüsse ist es der österreichischen Kulturpolitik gelungen, international den Eindruck zu vermitteln, in der österreichischen Literatur würde ohnehin alles und jeder gefördert. Die Trefferquote der jährlich erreichten Förderungsnehmer sagt etwas anderes aus: Nur rund ein Drittel aller jährlichen literarischen Neuerscheinungen und der in Österreich erscheinenden Kultur- und Literaturzeitschriften, zehn Prozent aller mit Literatur befassten Einrichtungen und Veranstaltungen und maximal 15 Prozent der Autoren werden von staatlichen Kunstförderungen erreicht. Das hat die erfolglosen Förderungswerber schon immer auf die erfolgreichen aufmerksam gemacht und macht in Sparverordnungsjahren ganz besonders auf sie aufmerksam.

Fragen der Verteilungsgerechtigkeit, Transparenz und Objektivität werden in solchen Zeiten so gelöst, dass Entscheidungsgremien mit Vertrauensleuten besetzt werden. Synergien ergeben sich daraus, dass die eine Hand die andere wäscht, oder aber wenn Verleger und Produzenten in Förderungsgremien sitzen, um die Arbeiten derjenigen zu unterstützen, die sie verlegen bzw. produzieren.

Für die Betroffenen stellen sich diese Fragen existenziell. Wie viel der einzelne Schriftstellerarbeitsplatz - vom Vielschreiber bis zum Gelegenheitsautor, vom Erfolgsautor bis zur Lokalgröße - dem Staat wert ist, lässt sich anhand der jährlichen staatlichen Literaturförderungsausgaben und der Zahl der im Literaturhandbuch verzeichneten Autoren leicht feststellen. Rund 3,5 Millionen Euro im Bereich Veranstaltungen und Vereine, rund 2,5 im Bereich Verlage, Zeitschriften und weitere drei Millionen Euro für Autorenförderungen und Sozialleistungen sieht die Republik Österreich im Jahr für Literaturförderungszwecke vor.* Auf die einzelnen in Österreich tätigen Schriftsteller aufgeteilt bedeutet das, jeder Schriftstellerarbeitsplatz ist der Republik Österreich jährlich rund 2300 Euro wert. Tatsächlich aber kann man von der Hälfte ausgehen, da mit den Literaturförderungsausgaben auch jeder Arbeitsplatz im Verlags- und Veranstaltungswesen mitunterstützt wird. Was in keinem anderen Produktionsbereich denkbar wäre, gelingt über Förderungen spielend, sich als Geldgeber ohne nennenswerten Mitteleinsatz einen dennoch durchaus guten Ruf zu sichern.

Nicht zum ersten Mal setzen daher Überlegungen ein, das öffentliche Förderungs- und Preiswesen durch eine Grundsicherung zu ersetzen, die allerdings allein beim jetzigen Stand der verzeichneten Autoren - auf der Basis der garantierten Mindestpension (monatlich Euro 643,54), von der niemand leben kann, und abzüglich der wenigen wirklich verdienenden Autoren - Jahreskosten in der dreifachen Höhe der derzeitigen Literaturförderung ausmachen würde. Es sei denn, die Autoren verlassen sich wie schon bisher nicht darauf, dass ihnen die fehlenden Markterfolge aus staatlichen Mitteln ersetzt werden, sondern finanzieren ihre Lebensgrundlagen mit so genannten Brotberufen oder Brottätigkeiten selbst. V iel wichtiger als die Fragestellung, ob die Grundsicherung für Künstler finanziell zu bedecken ist und wieso auf einmal wer die Kosten dafür übernehmen wollen soll, wenn sie genau aus diesem Grund schon bisher aus Sozialleistungen wie Arbeitslosenversicherung und Krankengeld ausgeschlossen waren, ist die Überlegung, ob durch eine Grundsicherung Verhältnisse entstehen, die es österreichischen Autoren ermöglichen, ihre Arbeiten in der Öffentlichkeit und am Markt unterzubringen. Dazu wird eine Grundsicherung nicht mehr beitragen als die jetzigen Verhältnisse. Verhältnisse, mit denen alle, ausgenommen die Künstler, durchaus zufrieden sein können. Die Wirtschaft wird in ihrer Marktlogik von keinen Marktregulativen gestört und die Politik kann sich auf das Funktionieren ihrer Förderungsanstrengungen verlassen. Mehr noch, auch die Wirtschaft kann auf ihren Unterstützungswillen verweisen und es - mit wesentlich mehr Recht, da sie sonst mit Kunst und Künstlern nichts zu tun hat - der öffentlichen Hand mit einer in den letzten Jahren explosionsartig angestiegenen Zahl von Preisen für Kunst und Künstler gleichtun. *Korrigierte Zahlen anhand der Einzelangaben im Kunstbericht 2002, aus denen u.a. hervorgeht, dass unter den Oberbegriffen "Vereine und Veranstaltungen" und "Literarische Publikationen" auch zahlreiche Lesehonorare und privat vergebene Preisgelder und die den Autoren direkt gewidmeten Gelder des "Sozialfonds" finanziert werden. Nicht berücksichtigt wurde der ebenfalls unter den Literaturförderungsausgaben für "Vereine und Veranstaltungen" aufscheinende Verein "KulturKontakt", der nicht in der Literatur tätig ist. (DER STANDARD, Printausgabe vom 29./30.11.2003)