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Foto: Der STANDARD
Wien - Sam Rivers ist vielseitig, ist wohl der einzige Musiker, der sowohl Billie Holiday begleitete, als auch von Joe Cocker für Aufnahmen hinzugezogen wurde. Unlängst war er im Porgy & Bess mit seinem Trio an der Seite von Steven Bernstein zu beobachten, wie er gar jüdische Kantoralmelodien in kammermusikalischen wie energiereichen, freien Improvisationsfeldern dekonstruierte.

"Jüdische Musik und Blues sind sich schon allein von der Grundstimmung her nahe. Und die Verbindung zwischen Afroamerikanern und Juden ist auch eine historische, seit W.E.B. DuBois gemeinsam mit jüdischen Mitstreitern 1909 die National Association for the Advancement of Colored People gründete." Sam Rivers hat derlei Dinge nicht nur gelesen, er hat sie erlebt. Begann doch die Karriere des Mannes, der im September 80 wird, in den 40ern, als der Bebop tatsächlich noch Revolution bedeutete, als Schwarz und Weiß selbst im Jazzerlager noch selten die amerikanischen Rassentrennungsgesetze überwanden.

Und er war dabei, als Ende der 50er-Jahre die afroamerikanische Musik in einem kollektiven, auch gesellschaftspolitisch motivierten Schrei in die Gefilde des Free Jazz durchbrach. "Im Jazz waren zumeist die schwarzen Musiker die Pioniere und die weißen die, die damit Geld verdienten. Siehe etwa die Dixieland- oder Chicago-Bands, die den New-Orleans-Jazz imitierten. Oder Kenny G, der stets erfolgreicher als Miles Davis war. Im Bebop wollte man endlich eine Musik kreieren, die nicht von den Weißen kopiert werden konnte."

Im Free Jazz sei es "der Hunger nach freiem Ausdruck, nach Ausbruch aus der Enge musikalischer wie gesellschaftlicher Barrieren. Das waren Phasen der Entwicklung jener Musik, das Grundverständnis für den Jazzmusiker blieb für mich dasselbe: Mit seiner Musik aufmerksam, frisch zu bleiben und individuell. Das allein ist in unserer Zeit schon ein Statement", zieht Rivers Bilanz.

Seine Karriere zählt auch deshalb zu den meistunterschätzten, da die Person hinter ihr nicht leicht festzulegen ist. Sam Rivers, das ist die Mittler- und Vaterfigur, das Bindeglied zwischen Blues, Bebop und Free Jazz, die sowohl von Miles Davis als auch von Cluster-Meister Cecil Taylor engagiert wurde, und der als Komponist als Schöpfer orchestraler Klangtürme von irisierender Dichte hervortrat.

1970 gründete er an Manhattans Lower East Side in einer stillgelegten Kartonagenfabrik das Rivbea Studio, das zum Inbegriff der Loft-Szene der 70er-Jahre mutierte. "Zu dieser Zeit waren bestens ausgebildete Musiker wie Anthony Braxton, Roscoe Mitchell in New York, aber sie konnten wenig spielen. Als dann das Newport Jazz Festival nach New York übersiedelte und die zeitgenössische Szene völlig ignorierte, veranstalteten wir ein Gegenfestival."

Die Intensität dieser "Loft Jazz Sessions" wurde 1976 auf Wildflowers eingefangen. Doch es wäre nicht Rivers, würde er nicht auch hier einer Glorifizierung vorbeugen: "Musiker sind seltsam: Wenn die Musik richtig heiß ist, spielen sie begeistert auch ohne Geld; wenn die Musik nicht so richtig funktioniert, wollen sie sogar für die Proben Geld", bringt er den Generationswechsel in der freien Musik Ende der 70er auf den Punkt.

Auch seine Beobachtungen des aktuellen Jazzgeschehens sind unorthodox: "Ich sehe es auch mit einem lachenden Auge, dass die Major Labels Jazz aus ihrem Programm streichen. Weil es bedeutet, dass die Musiker unabhängig werden müssen, sich selbst um Produktion und Marketing kümmern müssen." So, wie es Rivers, der sein eigenes Label betreibt, den Großteil seiner Karriere getan hat. Und noch immer tut: "Ich habe so viele Kompositionen, dass ich jeden Monat eine neue CD veröffentlichen könnte." (Andreas Felber/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 3. 12. 2003)