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Ein "Willkommen" auch vom sich selbst als "einer der besten Redner" im Parlement bezeichnenden ÖVP-Abgeordneten Günter Stummvoll

foto: apa/jaeger
Wien - "Willkommen" zu den neuen EU-Mitgliedern, das Unterstreichen der historischen Bedeutung der Erweiterung, aber zum Teil deutliche Vorbehalte gegenüber aktuellen Entwicklungen in der EU. Das war am Mittwoch im Nationalrat in der Debatte zur Ratifizierung der EU-Erweiterung der Tenor der Klubobleute. FPÖ-Fraktionsführer Herbert Scheibner (F) begründete das geplante "differenzierte Abstimmungsverhalten" seiner Kollegen mit dem "Problem", das man angesichts der Benes-Dekrete und Temelin mit Tschechien habe. Erwartet wurde eine einhellige Zustimmung mit zwei freiheitlichen Gegenstimmen.

Eröffnet wurde der Willkommens-Reigen von ÖVP-Klubchef Wilhelm Molterer, unterstützt von seinen Fraktionskollegen, die Tafeln mit dem Gruß in den Landessprachen der Beitrittsländer hochhielten. Er erinnerte daran, dass das Ziel der politischen Gemeinschaft schon am Beginn der europäischen Integration besprochen worden sei, dies sei das "faszinierende an dieser Idee". Angesichts der politischen Ereignisse der vergangenen Jahrzehnte stehe fest: "Die Idee der europäischen Einigung ist stärker als Nationalismus", sie sei "stärker als menschenverachtende Ideologien wie beispielsweise der Nationalsozialismus", "stärker als undemokratische Regime und Systeme, wie sie der Kommunismus über Jahrzehnte in Europa erreichtet hat", stärker als "alles Menschen verachtende, das wir auf diesem Kontinent erlebt haben".

Freilich werde es auch in der erweiterten Union die regionale Partnerschaft und Initiativen zur Verbesserung der Infrastruktur brauchen, so Molterer. Der ÖVP-Klubchef sprach aber auch Temelin und die Benes-Dekrete an. In Sachen Temelin setze man auf das Abkommen von Brüssel, klar sei auch das "historisches Unrecht als solches bezeichnet und beseitigt" werden müsse. Aber: Die ÖVP sei der Meinung, dass diese Frage besser unter gleichberechtigten Partnern in der EU lösbar sei.

Möglicher Hofburg-Kandidat spricht wieder

Für die SPÖ trat in der ersten Debattenrunde das erste Mal seit Jahren wieder der zweite Nationalratspräsident Heinz Fischer ans Rednerpult. Auch er sprach von einem "historischen Datum". Man müsse aber auch die Sorgen der Menschen ernst nehmen. Nach dem "Geburtsakt" der europäischen Einigung müsse nun das Kind gut gepflegt werden, betonte er. Das Hauptargument für die europäische Einigung müsse jedenfalls die Perspektive des Friedens sein: "Die Philosophie des Krieges ist abgelöst durch eine Architektur des Friedens", die Zone des Friedens werde nun ausgebaut.

Berücksichtigt werden müsse im Sinne der Akzeptanz der EU aber auch die "soziale Dimension". Und Fischer wandte sich gegen ein "Drüberfahren" größerer Staaten über die anderen. Dies gelte auch in der frage der Sicherheitspolitik. Es dürfe nicht sein, dass die drei größten Nato-Staaten einfach einen Text auf den Tisch legten, zu dem Österreich dann "Ja und Amen" sage. Hier müsse noch viel überlegt werden. Solidarität sei ein wichtiger Faktor, aber nötig sei eben auch die Rücksicht auf die Verfassungsordnungen aller Mitglieder. Er hoffe hier insbesondere auf die Zusammenarbeit mit Schweden, Finnland und Irland.

Scheibner verteidigt FP-Verhalten

Auch FPÖ-Klubobmann Herbert Scheibner unterstrich den Aspekt des Friedens. Eine der Erfolgsgeschichten der europäischen Einigung sei, "dass militärische Auseinandersetzungen auf Dauer unmöglich geworden sind". Ein positives Signal sei zudem, "dass jetzt auch Länder integriert werden können, die lange warten mussten auf ihre endgültige Befreiung", darunter mit den Baltischen Republiken sogar Länder, die früher der Sowjetunion angehörten. Freilich, so der FPÖ-Klubchef müsse hinterfragt werden, ob auch wirklich alle erwarteten Standards erreicht werden. Die Diskussion um Transit und Stabilitätspakt habe gezeigt, dass Sorgen und Nöte nicht immer ernst genommen werden.

Was Tschechien betrifft, meinte Scheibner, die Menschenrechte müssten "ohne jeden Kompromiss vorbehaltlos" umgesetzt werden. Die Benes-Dekrete und die Amnestiegesetze stünden in Widerspruch zu den von der EU in Kopenhagen vorgegebenen Kriterien. Dabei dürfe es für ein demokratisches Land doch nicht schwer sein, einzugestehen, dass Unrecht geschehen sei. Er schilderte etwa den Fall einer Frau, deren dreijähriges Kind starb, weil ihm ärztliche Hilfe verweigert worden sei. Österreich habe Mitverantwortung für seine Vergangenheit übernommen. Auch die Tschechische Republik sollte sagen, "so wie es Nazi-Gräuel gegeben hat, war auch das Unrecht."

Van der Bellen: "Welcome to the club"

Grün-Klubchef Alexander Van der Bellen nahm den Bericht über das sterbende Kind auf. Er meinte, er würde sich bei dieser Schilderung wohler fühlen, wenn nicht gleichzeitig Flüchtlinge auf die Straße gesetzt würden. Zur Erweiterung meinte er, deren Ratifizierung sei ein "großer Tag". Die richtige Begeisterung komme aber nicht auf, merkte er an, es gebe eine "Zwiespalt zwischen dem großen Tag einerseits und auf der anderen Seite dem Unbehagen über den Zustand der Europäischen Union." Und in Richtung der Beitrittsstaaten: "Welcome to the club. Aber wollen wir das realistisch einschätzen, welchem Club sie hier beitreten."

Für Van der Bellen sieht der Klub so aus, dass die Einigung noch nicht ausgestanden sei, noch gebe es Länder in Europa, die nicht der EU angehören. Zum Stabilitätspakt meinte er, dieser sei politisch tot. Dies sei zwar zu begrüßen, er habe den Pakt immer für verunglückt gehalten. Aber wie es zu diesem Aus für den Pakt gekommen sei, "das muss einem schon Übel aufstoßen. Es könne nicht so sein, dass die großen EU-Staaten sich nicht an die Regeln halten müssten: "Das ist nicht die europäische Verfassung, die wir uns vorstellen." Kritik übte Van der Bellen am angekündigten Abstimmungsverhalten der Freiheitlichen, hinter dem er "antitschechische Ressentiments" vermutet.

Gorbach: "Wir schreiben heute Geschichte"

Wohlwollend hat die Regierungsspitze die heute anstehende Ratifizierung der Erweiterungs-Verträge aufgenommen. Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (V) rief den zehn neuen EU-Ländern im Nationalrat zu: "Wir freuen uns auf Sie". Vizekanzler Hubert Gorbach meinte: "Wir schreiben Geschichte". Ungeachtet dessen betonten beide, dass noch Schwierigkeiten zu überwinden seien. Für Schüssel ist aber klar, dass die Lösung der noch vorhandenen Probleme mit einer erweiterten Union leichter sein wird. Gorbach erhofft sich Klarstellungen Tschechiens zum AKW Temelin und den Benes-Dekreten.

Schüssel meinte, es handle sich um einen "großen Tag für Österreich und für Europa und vor allem für die Beitrittsländer selber". Die europäische Idee lebe. Mit einem Blick auf die Debatte um eine europäische Verfassung betonte der Kanzler, die EU könne sowohl die Vertiefung vorantreiben als auch die Erweiterung vollziehen: "Ich glaube, dass wir uns auf diesen heutigen Tag wirklich freuen können".

Einen Seitenhieb Schüssels gab es für Tschechien. Er hätte sich erwartet, dass im Sinne der Nachbarschaft manche Gesten und manche noch offene bilaterale Fragen in einem guten Geist vor der heutigen Ratifizierung gelöst würden. Die Schuld dafür, dass dies nicht geschehen ist, gibt er der tschechischen Innenpolitik. Denn er wisse, dass Premier Vladimir Spidla und Außenminister Cyril Swoboda die selbe Position genauso wie er selbst, so der Kanzler.

Gorbach meinte, es müsse klar sein, dass eine deutliche Stellungnahme zum Unrecht im Rahmen der Benes-Dekrete abgegeben werde. Dies müsse man von einem Mitgliedsland wie Tschechien erwarten können. Fortschritte Prags erhofft der Vizekanzler auch in der Umweltpolitik. Er erwarte, dass das Prinzip der Nachhaltigkeit im endgültigen Energiekonzept der tschechischen Republik berücksichtigt werde.

Sowohl Schüssel als auch Gorbach schilderten Österreich als gut vorbereitet auf die Erweiterung - beispielsweise im Bereich der Infrastruktur oder der Handelsbeziehungen. Trotzdem gebe es noch Herausforderungen zu lösen, verwies der Vizekanzler etwa auf die niedrigere Steuern und geringere Lohnnebenkosten in den Nachbarstaaten. Diese Probleme und auch Fragen der Sicherheit seien aber in einer erweiterten Union mit österreichischer Beteiligung leichter zu lösen als allein oder damit, andere vor der Türe stehen zu lassen, unterstrich Schüssel. Die Einheit Europas sei heute eine Notwendigkeit für alle, ergänzte etwas später Gorbach, Konrad Adenauer zitierend.

Gusenbauer - "Bedenken ernst nehmen"

SP-Chef Alfred Gusenbauer hat in der Erweiterungs-Debatte dazu aufgefordert, die Bedenken von Teilen der österreichischen Bevölkerung gegen die EU-Erweiterung ernst zu nehmen. Viele Menschen würden mehr Verkehr und mehr Leistungsdruck befürchten. Nur wenn man auf diese Unsicherheit eingehe, bestehe eine Chance, "dass ein so großes politisches Werk von der Gesamtheit der Bevölkerung getragen wird", so Gusenbauer am Mittwoch im Nationalrat.

Für ÖVP-Verfassungssprecherin Ulrike Baumgartner-Gabitzer ist die EU-Erweiterung eine "Erfolgsgeschichte in mehrfacher Hinsicht": "Ehemalige Diktaturen kommen zurück in das gemeinsame Haus Europa. Das ist doch ein Grund zum freuen." Für die FPÖ forderte Reinhard Bösch ein Ende der "kleinen Schwindeleien" - sowohl bei der Erfüllung der Beitrittskriterien durch die Kandidatenländer, als auch beim Stabilitätspakt.

Die außenpolitische Sprecherin der Grünen Ulrike Lunacek kritisierte die zwei Gegenstimmen der FPÖ und meinte, sie hätte "gehofft, dass die nationalistischen Misstöne, vor allem gegen Tschechien, endgültig der Vergangenheit angehören". Die Regierung sei in Sachen Erweiterung einen "Schlingerkurs" gefahren und habe damit den österreichischen Verhandlungspositionen, etwa im Fall Temelin, geschadet. Lunacek forderte die Einrichtung eines "Österreichisch-Tschechischen Zukunftsfonds" zur Förderung eines vertrauensvollen Verhältnisses mit dem nördlichen Nachbarn.

Ferrero-Waldner ist "heute glücklich"

Euphorisch wie keiner ihrer Vorredner hat Außenministerin Benita Ferrero-Waldner (V) die heute anstehende Ratifizierung der Erweiterungs-Verträge kommentiert: "Ich bin heute glücklich", meinte sie zu Beginn ihrer Rede im Nationalrat. Man erlebe heute die Geburtsstunde eines neuen Europas. Sie habe nur einen Wunsch, man möge ihn Wunsch ans Christkind nennen: Dass die Menschen diesseits und jenseits der Grenzen nicht mehr sagen, wir sind hier und ihr seid dort sondern sich alle gemeinsam als Europäer betrachten.

Österreich sieht die Außenministerin als für die Erweiterung gerüstet. Dabei verwies Ferrero-Waldner unter anderem darauf, dass sie selbst vor drei Jahren eine regionale Partnerschaft "aus dem Boden gestampft hat", um auf die Kandidatenländer zuzugehen und ihnen nahe zu kommen. Als besonders erfolgsversprechend sieht sie die Sicherheitspartnerschaft an, die Innenminister Ernst Strasser (V) zu Stande gebracht habe. Offene Fragen gebe es natürlich weiterhin: "Aber gemeinsam wird man sie lösen können".

(APA)