Die Besetzung echter Zukunftsthemen mahnt SP-Chef Alfred Gusenbauer von den Sozialpartnern ein. Entscheidend für die Überlebensfähigkeit der Arbeitnehmerseite sei dabei der gewerkschaftliche Organisationsgrad.

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Wien - Die klassische Form der österreichischen Sozialpartnerschaft als eine Art Nebenregierung zur per Wählerentscheid eingesetzten, ist mit der schwarz-blauen Wende "gestorben", wie dies Exbundeskanzler Franz Vranitzky (SP) am Dienstag formulierte. Auf einer Veranstaltung der "Arbeitsgemeinschaft für wissenschaftliche Wirtschaftspolitik" - kurz Wiwipol - diskutierten Vranitzky, SP-Chef Alfred Gusenbauer, die SP-Abgeordnete Melitta Trunk sowie der Wiener Politikwissenschafter Emmerich Tálos über Chancen der Wiederbelebung.

Tálos sagte: "Das klassische Sozialpartnermuster ist heute eindeutig passé, aber nicht der Bedarf an koordinierter, konzedierter Politik." Der "gute Wille der beiden Präsidenten", gemeint sind ÖGB-Chef Fritz Verzetnitsch und Kammerpräsident Christoph Leitl, reiche dazu nicht aus. Tálos: "Mit der Sozialpartnerschaft ist es fast so wie bei den Nebenbahnen. Es gibt noch die Gleisanlagen und das Bahnwärterhäuschen, aber es bewegt sich nichts mehr."

Für Gusenbauer hat die Sozialpartnerschaft "noch immer Bedeutung". Allerdings nur dann, relativierte der SP-Vorsitzende, wenn Antworten auf echte Zukunftsfragen gefunden würden. Nicht durch die jahrelange Diskussion über den Umbau oder Abbau des Sozialstaates könne die Sozialpartnerschaft wieder an Profil gewinnen, sondern in einem Dialog über die wesentlichen Eckpunkte einer nachhaltigen Wirtschafts(wachstums)politik. Aber auch hier die Einschränkung: "Dialog ist nett, es muss aber auch etwas zu verhandeln geben."

Gusenbauer will etwa beantwortet wissen, wie man zu einer Ausgabenstruktur kommen kann, damit jährlich statt derzeit knapp unter zwei Prozent künftig 3,5 bis vier Prozent des Bruttoinlandsproduktes in die Forschung investiert werden könnten.

Im Hintergrund entscheidend, zumindest für die Arbeitnehmerseite, sei dabei der jeweilige Organisationsgrad, auch im Hinblick auf gewerkschaftliche Kampfmaßnahmen. Teilgewerkschaften mit Mitgliederanteilen von unter zehn Prozent einer Belegschaft oder Branche spielen für Gusenbauer auf "esoterischer" Ebene eine Rolle.

Für Trunk ist die Sozialpartnerschaft zu einem Debattierklub verkommen, der Fragen der Gleichbehandlung oder der Ausländerintegration ausblende. "Ausgehebelt" sei die Sozialpartnerschaft von der Regierung worden. Auch Leitl stehe zu Schwarz-Blau in Opposition, so Trunk. (miba/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 10.12.2003)