Im Falle einer Beistandspflicht wäre eine Modifizierung der Verfassung notwendig, sagt Nationalratspräsident Andreas Khol. Er hofft, auch die SPÖ dafür gewinnen zu können. Mit Khol sprach Michael Völker.

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STANDARD: Ist Österreich überhaupt noch neutral?

Khol: Innerhalb der Europäischen Union wurde die Neutralität durch Solidarität ersetzt - und zwar durch das mit großer Mehrheit beschlossene Verfassungsgesetz im Jahre 1998, mit dem der Artikel 23 f in die Bundesverfassung eingefügt wurde. Also: In Europa Solidarität, außerhalb Europas sind wir nach wie vor neutral. Das nennt man eine differenzierte Neutralität. Diese steht nicht zur Disposition. Beispiel Irakkrieg.

STANDARD: Ist die Debatte um die Beistandspflicht dann nicht ein Streit um des Kaisers Bart?

Khol: Ich habe sowohl mit den Sozialdemokraten als auch mit den Grünen die Regierungsverhandlungen gerade auf dem Gebiet Sicherheitspolitik, Außenpolitik und Neutralität geführt. Mit Heinz Fischer und Caspar Einem, auf der anderen mit Peter Pilz. Pilz ist bis heute konsequent geblieben. Er hat damals die Position namens der Grünen auch angeboten: Nato-Beitritt nein, aber europäische Verteidigung, europäische Sicherheit, europäischer Beistand und auf den Weg dorthin eine differenzierte Neutralität.

STANDARD: Soll es nun eine generelle Beistandspflicht geben oder eine mit Ausnahmen?

Khol: Ich habe auch mit der SPÖ die Frage der zukünftigen Sicherheitspolitik verhandelt, auch da war die europäische Verteidigung als Ziel nicht bestritten. Ich kann mich noch an die Koalitionsverhandlungen in der Ära Klima mit Heinz Fischer erinnern, wo er einem Beitritt zur westeuropäischen Union unter bestimmten Voraussetzungen zugestimmt hat. Wir befinden uns derzeit auf einem sehr logischen, nicht sehr dramatischen Weg der Weiterentwicklung unserer differenzierten Neutralität.

STANDARD: Noch einmal: Beistandspflicht ja oder nein?

Khol: Wir befürworten, dass es in der EU, innerhalb der 25 Mitgliedstaaten, eine wechselseitige Sicherheitsgarantie gibt. Dass aber das Ausmaß des Beitrages der vier Länder mit Sonderstatut, der Neutralen und Blockfreien, von ihnen selbst bestimmt wird.

STANDARD: Wäre in diesem Fall eine Änderung der Verfassung notwendig?

Khol: Natürlich muss man den Artikel 23 f, in dem militärische Aktionen außerhalb der EU legitimiert werden, anpassen und auch solche innerhalb der EU legitimieren.

STANDARD: Dazu brauchen Sie die SPÖ.

Khol: Ja, so wie bisher. Ich bin der Meinung, dass das Ganze von Heinz Fischer gewaltig dramatisiert wurde. Er hat hier offenbar ein Profilierungsthema für seine Präsidentschaftskandidatur gesehen. Aber er ist nicht konsequent. Man kann nicht 1995 den WEU-Beitritt als Möglichkeit ins Regierungsübereinkommen schreiben, 1998 durch eine Verfassungsnovelle des Artikel 23 f beschließen und im Jahre 2003 die Weiterentwicklung der Solidarität in Europa mit fundamental-neutralitätspolitischen Äußerungen infrage stellen.

STANDARD: Halten Sie einen nationalen Konsens für möglich?

Khol: Natürlich, das ist unser Ziel. Wenn es eine geeignete Formulierung gibt, werden wir mit der SPÖ einen Konsens finden. Auch die Grünen werden Interesse zeigen.

STANDARD: Wenn es nach Pilz geht, ja.

Khol: Pilz und Voggenhuber. Die Grünen werden sich fragen müssen, ob sie einem dementsprechenden EU-Verfassungsvertrag im Nationalrat zustimmen oder nicht. Das sind ja keine Sandkastenspiele. Entscheidend sind aber die Sozialdemokraten. Auf ihr Wort kommt es an. (DER STANDARD, Printausgabe, 12.12.2003)