In der frühen Zeit wuchsen die Weihnachtsbäume aus dem Linzer Boden und wurden von einem Jahr zum andern höher. Keiner von ihnen wurde bezahlt, und die Händler an der Linzer Landstraße sahen der leicht gebeugten Gestalt unseres Vaters nach, der den Baum wegzerrte, sie ließen ihn gehen. Es war ein altes Spiel, und sie kannten es.

Von der Herz-Jesu-Kirche - sie sah aus, als hätte Kaiser Franz Josef sie in Auftrag gegeben - bis zur Donaubrücke gab es genug Christbaumhändler, stille und nicht marktschreierische. Keiner versuchte, dem unbezahlten Baum hinterherzulaufen.

Von der Brücke schaute unser Vater kurz auf die breite, reißende Donau und warf einen Blick auf den Pöstlingberg. Er hatte den Baum ergattert und den Instanzenweg vermieden.

Seine Instanz war der Pöstlingberg, auf den er ein Gedicht geschrieben hatte: In den dunklen Momenten "die Perle der Provinz", um die Sonnenwende die "Akropolis von Linz". Diese Reime las er uns öfter vor und erzählte von einem Freiherrn von Gilm. Dieser Freiherr von Gilm und die überlisteten Christbaumhändler waren die ersten maßgeblichen Schatten. Wo die Glaskugeln und der Stern auf der Spitze herkamen und von wem sie nicht bezahlt wurden, erfuhren wir nicht und fragten nicht danach.

Aber die Fragen, die wir uns ersparten, schlugen Wurzeln und begannen zu wachsen: ein zögerndes, leicht zu störendes, doch unaufhaltsames Wachstum. Die Fragen blieben, wo sie waren, an den windigen Rändern, unentschlossen, aber auch nicht abzuschütteln. Randfiguren, denen das kommende Fest wenig entgegensetzen konnte. Und auch dem Fest war nichts entgegenzusetzen, es rückte näher und war unabwendbar, ein verabredetes Spiel, das wir nicht durchschauten. Stifters Bergkristall mit der Behauptung "Mutter, ich habe den heiligen Christ gesehen" kannten wir noch nicht. Und wie viel hatte der "heilige Christ" mit den Linzer Donaubrücken zu tun und mit den Schulden unseres Vaters?

Am besten gefiel uns um diese Zeit der Pfennigberg jenseits der Donau, still, unauffällig, erreichbar: eine sichere Währung, die Stille 1929 - die einzige Währung, die sich nach den Möglichkeiten von Jesus, Maria und Josef noch vor der Flucht nach Ägypten bemisst. (DER STANDARD, Printausgabe, 12.12.2003)