Wien - Die Wiener Stadt- und Landesbibliothek erwarb, wie DER S TANDARD am 15. November berichtete, den Nachlass des Schriftstellers Gerhard Fritsch von dessen Sohn, einem Antiquar, um 654.075 Euro. Wendelin Schmidt-Dengler hingegen, der das Literaturarchiv der Nationalbibliothek leitet, schätzt den Wert auf vielleicht 200.000 Euro: "Ich finde die bezahlte Summe völlig überzogen", sagte der Germanist damals.

Marie Ringler, Kultursprecherin der Grünen, stellte nun den Antrag, das Kontrollamt möge die Hintergründe des Ankaufs prüfen. Die SP lehnte ihn aber ab, was Ringler verwundert: "Wenn der Ankauf wirklich ordnungsgemäß verlief, hätten die Beteiligten auch die Kontrollamtsprüfung nicht zu fürchten brauchen."

Abgeklärt wissen wollte Ringler u. a.: "Wurde beim Ankauf kaufmännisch korrekt vorgegangen, d. h. wurde mit dem Verkäufer über den Preis verhandelt mit dem Ziel, die öffentlichen Gelder möglichst sparsam einzusetzen? Wurde der Kaufpreis vom Verkäufer zu hoch angesetzt - und die Bibliothek kaufte ihn trotzdem? Durch welche Personen wurde das Geschäft angebahnt? Welche Maßnahmen sollen gesetzt werden, um überteuerte Ankäufe zu verhindern?"

Dem STANDARD wurde zudem von unbekannt eine Dienstanweisung zugespielt, deren Existenz die Bibliothek bestätigt. Laut dieser muss das Vieraugenprinzip bei Objektsichtungen eingehalten und bei großen Angebots-/Gegenangebotsdifferenzen ein externes Schätzgutachten eingeholt werden. Auch hat der Verlauf von Preisverhandlungen festgehalten zu sein.

Im Fall Fritsch-Nachlass gab es bis Mitte November aber nur ein einziges "Gutachten", erstellt von Hermann Böhm, dem Leiter der Handschriftensammlung. In diesem heißt es, dass "als Kaufpreis von Georg Fritsch der Betrag von 654.055 Euro genannt" worden sei. Bezahlt werden nun sogar deren 654.075. Preisvergleiche mit Auktionsergebnissen wurden im Gutachten nicht angestellt. (DER STANDARD, Printausgabe, 13./14.12.2003)