Nam June Paik vor leerer Leinwand als "lebender Film": "Zen for Film", 1964.

Foto: Peter Moore / VBK Wien /VAGA, NY
Wien - Ihr Kinogeher seid "Voyeure, wenn ihr in die ,happy darkness' eilt, um eure Probleme in Problemfilmen zu vergessen, die eure Probleme widerspiegeln", schrieb Peter Weibel auf ein Konzeptpapier der 60er-Jahre. Zu einer Zeit, in der vor allem in Österreich, Deutschland, Großbritannien und den USA die intensive künstlerische Analyse und Kritik des Kino- wie Medienbildes und -blickes wie auch deren Synthese begann.

Expanded Arts, Expanded Cinema bezeichnete damals diese erweiterte Leinwand. Das konnte so aussehen, dass Nam June Paik als "lebender Film" selber vor der Leinwand, auf die ein Leerfilm projeziert wurde, agierte. Oder dass, heute wenig aufregend, offenbart wurde, was "hinter" der Projektionsfläche kamera-und regietechnisch so abläuft.

In den Zeitraum fällt X-Screen - Filmische Installationen und Aktionen der Sechziger- und Siebzigerjahre. Diese Kunst-&-Kino-Beziehung sei ein, wie Kurator Matthias Michalka ausführt, "absoluter Referenzpunkt" für die zeitgenössische Kunstproduktion, die ohne den filmischen Blick kaum mehr auszukommen scheint. Stichwort Illusionismus wie Medienkritik - etwas, das auch Jelinek/Schlingensief mit Bambiland quasi ins 21. Jahrhundert übersetzen.

Die zwischen kühler Bildanalyse und synästhetischer Kakofonie sich bewegenden internationalen Arbeiten, verteilt auf vier Stockwerken des Mumok, schreiben wie schrieben zweifellos Mediengeschichte. Wegen der hohen Kosten, der Marktuntauglichkeit und letztlich wegen der absichtlich nicht wirklich traditionellen Gattungen entsprechenden Installationen kaum gezeigt, breitet sich größtenteils reine Museumskunst aus. Und da gehört dies auch hin.

Geradezu rührend und unendlich "historisch" nehmen sich frühe Versuche aus, etwa beim Betrachten des Moviedrome, einer vorsintflutlichen All-over-Projektion, die man im Liegen erfassen sollte. Oder beim Abhängen in Hängematten, den Blick auf Hendrix-Projektionen gelenkt - die Urgroßmutter einer Chill-out-Area.

Lebendiger wie aktueller wird die Sache, wenn Künstler wie Valie Export oder Dan Graham versuchen, dem "Primat des Visuellen" Körper-und Raumerfahrungen entgegenzustellen. Von heute gar könnte Dennis Oppenheims filmische Installation Machine Gun Fire (1974) sein, eine in vier identen Teilen im Raum rotierende Projektion. In dieser "Ebene" des Museums, der wohl stärksten von X-Screen, beeinflussen sich die großzügig verteilten Werke im positiven Sinne gegenseitig.

Highlight der Schau ist Line Describing a Cone von Anthony McCall. Es ist Endlos-Loop und anschauliche konzeptuelle Skulptur zugleich, die sämtliche Elemente des Filmischen, überhaupt des Sehens wie Zeit, Licht, Raum auf berückend simple Art offenbart. Das Stockwerk über Happening, Fluxus und Pop verströmt mehr dokumentarischen Charakter, Manches hebt sich auf in der Fülle und Dichte des Materials. Vieles erschließt sich erst nach Lektüre des Beipacktextes.

Eine wichtige, mutige Ausstellung, die Lücken schließt. Das wissenschaftlich orientierte Fachpublikum, über reine Kunstkonsumenten hinausgehend, wird begeistert sein, das Gros der Besucher wird X-Screen ratlos wie staunend zurücklassen. Wir sehen uns alle wieder, beim nächsten Mal vielleicht am Holo-Deck. (DER STANDARD, Printausgabe, 13./14.12.2003)