Wien - Die einzige wirkliche Sensation des Abends: Der Fürst der Finsternis fährt von der Hallendecke zu seinen blass geschminkten Jüngern herab. Das sieht bei einem gefallenen Engel, der während seiner gut zehnjährigen Karriere den Sturzflug in jedes innerhalb Videoclip-Länge erreichbare Sündenpfuhlnäpfchen zum Programm gemacht hat, etwas komisch aus.

Eigentlich müsste der Mann von Richtung südlich des Himmels mit derartiger Geschwindigkeit aus der Hölle heraufsausen, dass er auf der Bühne gar nicht rechtzeitig abbremsen kann und es ihn oben derart an das Beleuchtungsgestänge birnt, dass ihm gleich einmal schwarz vor Augen wird. Kunststück, das heute nur schütter anwesende, also treu ergebene Publikum ist nicht gekommen, um mit seiner Kleidung zu beweisen, dass eine kräftige Farbe allemal einen gesünderen Teint macht als ein dunkler Kontrast. Ein Mann sieht vielleicht rot, die das Satanszeichen zum Gruß reckenden Jünglinge vor der Bühne aber sind einmal mehr back in Black.

Marilyn Manson macht im Rahmen seiner Grotesk Burlesk-Tournee in der Wiener Stadthalle auch eines klar. Mit dem Programm seines aktuellen Albums The Golden Age Of Burlesque und dessen Verweisen auf die Weimarer Zeit unter besonderer Berücksichtigung der Ästhetik der Nazis und der bildhaften Umdeutung des Filmmusicals Cabaret zum jugendfreien SM-Porno ist Manson mittlerweile künstlerisch dort angekommen, wo man ihn möglicherweise gar nicht haben will. Trotz allen Tabubruch-Gehabes, der Verdammung Gottes und der Verhöhnung sämtlicher Werte, die der Mensch in seiner Jugend generell für das spätere Leben mitbekommen sollte: Brian Warner ist als gestreckter Mittelfinger im Unterhaltungsgewerbe natürlich vor allem eines: Er ist ein großer Moralist. Siehe auch: der Menschheit den Spiegel vorhalten. Spiegel, auch: Eulenspiegel.

Weil aber nicht nur er seit seinem allseits gelobten, pädagogisch wertvollen Auftritt in Michael Moores Bowling for Columbine längst ahnt, dass man als guter Böser unter all den bösen Guten weder vom Konfliktpotenzial her noch kommerziell in der Zielgruppe der gegen Eltern und "System" rebellierenden Teenager damit wirklich punkten kann, muss es Marilyn Manson ungemein freuen, dass während dieser Tournee zumindest noch in der Schweiz etwas an Medienwirbel zu holen ist. Eidgenössische Frauen-und Mutterverbände riefen dort zum Bannfluch auf. Die Konzerte waren ausverkauft.

In Wien ist immer schon alles etwas mehr wurscht gewesen als anderswo. Die bereits im Sommer in Wiesen beinahe identisch gebotene Show zwischen gotteslästerlichen Texten, beinhart uninspiriert und ohne Höhen und Tiefen böllerndem Industrial-Metal und einem kleinen bisschen Rocky Horror Picture Show hatte als einziges wirkliches Novum zu bieten, dass Marilyn Manson einmal seinen Mikrofonständer in einen Frauenhintern einführte. Der Frauenhintern war ein falsch aufgeklebter. Was pickt, das liegt. Es liegt darnieder. Schlechte Zeiten für das Böse. (Christian Schachinger/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 15. 12. 2003)