Wien - Nach dem gescheiterten Brüsseler EU-Gipfel gelte es nun, den "Stand der Verhandlungsdossiers" zu sichern. Das sagte Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (V) am Dienstag nach dem Ministerrat. Die italienische Ratspräsidentschaft unter Ministerpräsident Silvio Berlusconi habe "erstklassige Arbeit geleistet". In für Österreich wichtigen Fragen seien "starke Verbesserungen" erreicht worden, die es nun abzusichern gelte.

Er habe von Irland, das ab Jänner die Ratspräsidentschaft übernimmt, die Zusage, dass man sich in diese Richtung bemühen werde, so Schüssel. Was von den Italienern erarbeitet worden sei, "ist gar nicht schlecht". Schüssel verwies auf zahlreiche Verbesserungsvorschläge für eine europäische Verfassung. Er nannte die Daseinsvorsorge, die Aufwertung von Minderheitenrechten und die Aufnahme des Tierschutzes in die Verfassung.

Auf institutioneller Ebene sei es gelungen, sich auf ein Rotationsprinzip beim Kommissionspräsidenten sowie auf einen Kommissar pro Mitgliedland zu einigen. Auch bei der Frage einer Beistandspflicht und bei der Aufnahme des Zieles der Geldwertstabilität habe es Kompromisslösungen gegeben. Vizekanzler Hubert Gorbach betonte, die "Europa-Untergangsstimmung" der letzten Tage sei nicht angebracht. Nun müsse versucht werden, neue Termine für Verhandlungen zu finden.

Die Initiative sechs europäischer Mitgliedstaaten, die Beitragszahlungen pro Mitgliedsland mit ein Prozent des BIP zu deckeln, begründete Schüssel mit der Notwendigkeit, auch auf EU-Ebene mit Steuerngeldern sparsam umgehen zu müssen. "Das ist eine schon länger geplante Initiative von Frankreich, Deutschland, Großbritannien, Schweden, den Niederlanden und Österreich."

Man wolle zeitgerecht vor der Beschlussfassung und Diskussion innerhalb der Kommission für die Finanzvorschau 2007 bis 2013 zum Ausdruck bringen, dass man mit den bestehenden Finanzmitteln auskommen solle. Differenzen unter österreichischen Europaabgeordneten

Unter den österreichischen Europaabgeordneten gibt es Differenzen über das weitere Vorgehen, sollte die EU-Verfassung von den 25 EU- und Beitrittsstaaten nicht beschlossen werden. Kein Kerneuropa der Gründungsstaaten aber ein Verfassungs-Europa aus jenen Staaten, die eine starke, funktionsfähige EU wollen - das ist für Hannes Swoboda, SPÖ-Delegationsleiter im Europaparlament und Maria Berger, SPÖ-Europaabgeordnete und Mitglied des EU-Verfassungskonvents, als "zweitbeste Lösung" vorstellbar.

Swoboda für "eine Art Neugründung"

"Dann brauchen wir eben ein Europa neu, eine Art Neugründung. Sie sollte jene 20 bis 22 Staaten umfassen, die sich auf den Vorschlag des EU-Konvents inklusive der Änderungen der italienische Ratspräsidentschaft einigen können", erläuterte Swoboda. "Ich muss Europa nicht neu erfinden, nur weil ein Gipfel gescheitert ist", entgegnete ÖVP-Delegationsleiterin Ursula Stenzel. Die EU brauche jetzt viel mehr eine Phase der Abkühlung. "Kerneuropa hat für mich den Geruch eines Direktoriums", sagte Stenzel.

Derartige Überlegungen seien eine Reaktion Frankreichs auf die EU-Erweiterung. Österreich als Teilnehmer der Eurozone müsse aber "natürlich zum Kern Europas gehören". Der ÖVP-Europaabgeordnete Reinhard Rack, Mitglied des EU-Verfassungskonvents, betonte, eine Neugründung der Union wäre angesichts der Gültigkeit der Verträge für alle künftigen Mitgliedstaaten ein "Bruch geltenden Rechts" und "der Todesstoß für die Idee der europäischen Integration".

Die EU-Staats- und Regierungschefs hatten die nachfolgende irische EU-Ratspräsidentschaft lediglich zu einer Bewertung der Möglichkeiten für weitere Verhandlungen aufgefordert. Der Brüsseler Gipfel zum Beschluss der ersten EU-Verfassung war wegen des Konflikts zwischen Deutschland und Frankreich einerseits und Spanien und Polen andererseits um die zentrale Machtfrage der Stimmengewichtung im EU-Ministerrat gescheitert. (APA)