Im allgemeinen Sprachgebrauch wird nicht zwischen Grippe und den üblichen Erkältungskrankheiten, den grippalen Infekten, unterschieden. Wer rotzt, schnieft und hustet, hat "die Grippe". Für die richtige Grippe, die Influenza gilt: Sie schleicht sich nicht dahin wie eine lästige Erkältung, sondern bricht plötzlich aus.

Franz X. Heinz vom Institut für Virologie an der Universität Wien beschreibt es so: "Die Influenza beginnt aus völliger Gesundheit." Hat das Grippevirus zugeschlagen, fühlt man sich "wirklich krank". Weltweit gesehen erkrankt einer von zehn Erwachsenen an Influenza. Die österreichische Statistik spricht von 350.000 Grippefällen und 1500 Todesfällen in einer "durchschnittlichen Influenzasaison". Besonders gefährdet sind alte Menschen, chronisch Kranke und Kinder.

Die Virus-Grippe wird man, so allgemeine Medizinermeinung, nie ausrotten können, weil es in der Tierwelt (vor allem bei Vögeln) ein natürliches Virenreservoir gibt, und sich die Viren ständig verändern. Schützen könnte man sich aber. Heinz: "Es gibt eine vorbeugende Impfung, die wird aber nicht im ausreichenden Maß genutzt." Die "Durchimpfungsrate" sei mit 19 Prozent gering, vor allem die unter 40-Jährigen sind Impfmuffel.

Gefahr nicht bewusst

Einen Grund für die Impfskepsis sieht Heinz in der mangelnden Information über das wirkliche Ausmaß der Influenza-Folgen: "Die Gefahr wird zu gering geschätzt. Das Bewusstsein, dass die Influenza eine wirklich schwere Erkrankung ist, fehlt."

Ursache für die Impfabneigung könnte aber auch die Angst vor der Spritze sein. Keine Nadel bräuchte man für die Verabreichung eines völlig neuen Lebendimpfstoffes, der an der Wiener Universität für Bodenkultur, konkret in einer österreichisch-russischen Forschungsgruppe, der Polymun, entwickelt wurde. Statt zu stechen wird gesprayt, und zwar in die Nase. Wie die Grippeviren gelangt auch der schützende Impfstoff über die Atemwege in den Körper. Dietmar Katinger, Mitglied der Forschungsgruppe: "So wird die natürliche Infektion nachgeahmt. Grippe bekommt man ja nicht im Oberarm."

Ein weiterer Vorteil des neuen Impfstoffes ist die Art der Produktion, die vor Nebenwirkungen schützen soll. Werden die gängigen Totimpfstoffe über bebrütete Hühnereier vermehrt, züchtet man den neuen Stoff auf Hefekulturen, die man der Lebensmittelindustrie abgeschaut hat. Katinger: "Wir haben dadurch sichere, besser kontrollierbare Bedingungen." In Russland wurde die Wirksamkeit bereits erfolgreich erprobt, für Österreich und Europa fehlen noch Zulassung und ein finanzkräftiger Industriepartner.

In den USA ist bereits ein derartiger Impfspray auf dem Markt. Dessen Hersteller Wyeth und MedImmune profitieren von der aktuellen Grippewelle in Nordamerika, berichten die aktuellen Börsennachrichten. Weil der gängige Impfstoff inzwischen rar wurde und die Produzenten mit den Lieferungen nicht nachkommen, steigt die Nachfrage nach dem "FluMist"-Spray, kürzlich wurden von der Regierung drei Millionen Einheiten geordert.

Standort Österreich

Baxter, ein weiterer US-Konzern, hat sich für die Produktion seines neuen Impfstoffes Österreich als Standort ausgesucht. Das neue Vakzin wird in Krems entwickelt und soll 2005 auf den Markt kommen. Das Produkt wird auf einem serum- und proteinfreien Zellkultur-Medium gezüchtet. Als Innovation bezeichnet das Pharmaunternehmen die schnelle Produktionsweise. So könne man auf neue Virenstämme rasch reagieren und sofort den passenden Impfstoff produzieren. Bislang vergeht zwischen der weltweiten Virenerfassung und -analyse und der Impfstoffproduktion ein halbes Jahr. Taucht plötzlich ein neuer Virenstamm auf, wie heuer das Fujian-Virus, kann nicht mehr reagiert werden. Dietmar Katinger: "Es kommt nur alle paar Jahre vor, dass das Virus schneller ist."

Die Schutzwirkung des aktuellen Impfstoffes sei dennoch gegeben, versichert Franz X. Heinz: "Der Fujian ist nicht vollkommen unbekannt, einen ähnlichen Stamm gab es schon einmal." Mit dem Anrollen der Grippewelle wird in Österreich in den nächsten zwei bis drei Wochen gerechnet. Für eine Grippeimpfung sei es noch nicht zu spät, sagen die Mediziner. Bricht die Grippe aus, können Dauer und Schwere der Erkrankung durch Neuraminidasehemmer gemildert werden. Nimmt man das Medikament während der ersten zwei Grippetage ein, wird die Ausbreitung der Viren im Atemtrakt verhindert. Die Grippedauer soll sich um 30 Prozent verkürzen. Die Gefahr von Komplikationen wie Bronchitis, Lungenentzündung oder Nebenhöhlenentzündungen sinkt um 50 Prozent, verspricht Hersteller Roche. (Jutta Berger/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 22. 12. 2003)