Wien - Auf die Frage, wann denn der große Umbau in der Blue Box stattgefunden habe, antwortet Herbert Molin: "1991 - glaube ich." Molin, 46, ist das letzte verbliebene Gründungsmitglied des Wiener Szenelokals Blue Box, die zu Silvester 1983 erstmals ihre Türe öffnete. Eine Omnibustür war das damals.

Dass Molins Erinnerung an die vielen "Lebensabschnitte" des Ecklokals im siebten Gemeindebezirk vage ist, entspricht den in dieser Zeit zusammengekommenen Erinnerungslücken ebenso wie einer Grundhaltung: Die Dinge passieren lassen, dann wird schon nichts passieren. Und: im Zweifelsfall lieber noch ein Seidel nehmen, als wie ein Nachtwächter auf die Uhr schauen.

Auf diese Weise ist die Blue Box zwanzig Jahre alt geworden. In diesen zwei Jahrzehnten musste das Lokal für vieles herhalten: Unter anderem diente es als Originalschauplatz für die Niki-List-Filme Malaria und Müllers Büro und gilt als eine der Keimzellen der heimischen Clubkultur.

Als die Blue aufgesperrt wurde, spiegelte in der Hauptstadt außer der Diskothek U4 oder dem Café Ring kein Lokal jene kulturelle Gegenwart wider, die von Punk und New Wave geprägt wurde. Mit der Blue Box änderte sich das. Aus ihrem Umfeld gingen Bands wie Karl Gott, The Thorns, Astaron oder Viele Bunte Autos hervor. Jeder Kellner schien in einer Band zu spielen, selbst Molin war als Wirt ein singender. Musik war der Lebensnerv der Blue und seiner Gäste.

Bis 1991 änderte das Lokal regelmäßig sein Interieur. Dann - so Molin nicht irrt - wurde umgebaut. Als man wieder öffnete, drehte sich an der Decke ein barocker Luster, und über der Bar war eine DJ-Kanzel errichtet worden. Seitdem schaut man hierzulande (meist irrtümlicherweise) zu DJs auf.

Mit dem Einzug der DJ-Kultur nahm man trotz Ach und Weh mancher Gäste House und Techno ins Programm, während HipHop noch länger als Modetorheit angesehen wurde, die man auszusitzen gedachte. Clubben heißt sitzen!

Ein Irrtum zwar - aber immerhin etablierte man so das in Wien so erfolgreiche Modell des Sitzclubs: das gemütliche Wohnzimmer etwa oder den Club Duchamp. Eine wöchentliche Zumutung im Zeichen experimenteller Elektronik, die mit Mego-Labelgründer Peter Rehberg das Ihre zum bald darauf einsetzenden Wien-Hype tat. Auch der älteste House-Club des Landes, das H.A.P.P.Y., erblickte in der Blue Box das Licht der Stroboskopkugel.

Seit "zirka zehn, zwölf Jahren" (Molin) begeht man den 1. Mai mit einem Straßenfest, bei dem - dem Namen zum Trotz -, rote und Bierfahnen schwenkend, Gesinnung gezeigt wird.

Bei einem Termin ist Molin sattelfest. Mit Ende des Jahres zieht er sich aus der Blue Box zurück. Definitiv. Als Rückschau auf diese zwanzig Jahre kompilierte er die Doppel-CD History: Blue Box 1983-2003 ), die etliche legendäre und halblegendäre Blue-Box-affine Bands und Tracks präsentiert. Am 30. und 31. Dezember feiert man mit Liveauftritten und DJ-Urgestein die letzten 20 Jahre - und die nächsten!

Auf die Uhr wird Molin dabei nicht schauen. (Karl Fluch/DER STANDARD, Printausgabe, 27./28.12.2003)