Beengende Räume und bedrohliche Reflexionen: Liv Ullman in einem von Ingmar Bergmans Frauenporträts, "Von Angesicht zu Angesicht / Ansikte mot ansikte" aus dem Jahr 1975

Foto: Filmmuseum
Der schwedische Regisseur Ingmar Bergman erscheint, fast fünfzig Jahre nach seinem internationalen Durchbruch, als eine fixe, allzu renommierte Größe der Kinematografie. Neu entdecken kann man sein Werk derzeit im Österreichischen Filmmuseum.


Wien - "Wir stehen uns nicht sehr nahe": Der, der das sagt, ist der schwedische Regisseur Ingmar Bergman. Der, den er hier meint, ist Ingmar Bergman, der vielfach geehrte, weltberühmte Film- und Theatermacher - eine öffentliche Person. Der andere Bergman ist im vergangenen Sommer 85 Jahre alt geworden.

Und man kann annehmen, dass er - wie fünf Jahr vorher in jenem Fernsehinterview beschrieben, in dem der eingangs zitierte Satz fällt - immer noch sein Eremitendasein pflegt, zu dem streng organisierte Tagesabläufe und eine selbst auferlegte, regelmäßige Schreibtätigkeit gehören.

Seine Lebenserinnerungen hat er bereits 1987 unter dem Titel Laterna Magica veröffentlicht - auf Deutsch ebenso wie Olivier Assayas' und Stig Björkmans Gespräche mit Ingmar Bergman beim Alexander Verlag Berlin erschienen. Und schon in den 50er-Jahren hat er als einen seiner unumstößlichen Grundsätze für die Herangehensweise an seine Arbeit "jeder Film ist mein letzter" notiert. Sein Werk ist inzwischen trotzdem auf mehr als vierzig Filme angewachsen.

Das Österreichische Filmmuseum zeigt nun zwei Monate lang das Gesamtwerk von Ingmar Bergman. Bis Mitte der 50er-Jahre, als dem Regisseur mit Det sjunde inseglet (Das siebente Siegel, 1956) und Smultronstället (Wilde Erdbeeren, 1957) der internationale Durchbruch gelang, hatte er bereits rund zwanzig Filme gedreht beziehungsweise geschrieben. Die Retrospektive des Filmmuseums funktioniert also nicht zuletzt auch als Entdeckungsfahrt zurück zu den hierzulande weitgehend unbekannten Anfängen:

Darunter etwa Sommaren med Monika (Die Zeit mit Monika, 1953): Der Film erzählt eine Geschichte vom unbändigen Wünschen und dessen Beschneidung durch die realen Lebensumstände. In Harriet Andersson, die mitunter der jungen Ingrid Bergman ähnelt und die der Titelfigur eine übermütige Lebendigkeit verleiht, hat Bergman eine kongeniale Darstellerin, "eine der größten Schauspielerinnen der Welt" gefunden.

Monika, siebzehn Jahre alt, liest Groschenromane und sieht im Kino gerne Melodramen. Mit ihrem Freund Harry ("Du bist wie jemand aus einem Film!") flieht sie per Motorboot aus der Enge der familiären Wohnung in Stockholm in die vermeintliche Freiheit offener Landschaft. Sommaren med Monika gewinnt aus diesem Ortswechsel lichtdurchflutete Sequenzen von Tagediebereien und Glücksmomenten einer ersten Liebe.

Szenen einer Ehe

Andere, dunklere Motive zeichnen sich in diesem Film, der noch stark einem poetischen Realismus verpflichtet scheint, bereits ab: Nach der erzwungenen Rückkehr in die Stadt (und unter die sozialen Regeln) entwirft Bergman in wenigen, präzisen Zügen "Szenen einer Ehe", die - geprägt vom bescheidenen Einkommen und den durchwachten Nächten am Bett des Babys - mit der großen Sehnsucht der jungen Frau nicht lange mithalten kann.

Sommaren med Monika, einer der schönsten Filme des Regisseurs, wurde seinerzeit von der Zensur beschnitten. Auch später sorgt die verblüffende Direktheit, mit der Bergman Sexualität thematisiert, für Kontroversen: Tystnaden (Das Schweigen, 1962), ein nahezu tonloser Film, begleitet zwei Schwestern und den kleinen Sohn der einen in eine fremde Stadt namens Timoka. Während Esther (Ingrid Thulin) an einer schweren Erkrankung laboriert, unternimmt Anna (Gunnel Lindblom) kleine Ausflüge in Bars und Varietés und sucht sich dort einen Liebhaber.

Drückende Hitze und ein schwelender Konflikt bestimmen die Atmosphäre - ebenso wie das leere Hotel, das mit seinen Zimmerfluchten und einem stummen Zimmerkellner, der wie ein Todesbote wirkt, die Szenerie von Stanley Kubricks The Shining vorwegzunehmen scheint.

Dennoch bleibt der Raum im Hintergrund, liefert vor allem den Rahmen für in die Tiefe komponierte Bilder und die beklemmende familiäre Konstellation. Bergman gilt als Schauspielerregisseur. Zahllose Stars des Kinos (Liv Ullman, Max von Sydow, u. a.) verdanken ihm ihre Weltkarrieren.

Seine kontinuierliche Arbeitspraxis am Theater (im Winter für die Bühne, im Sommer fürs Kino inszenieren) prägt seinen Filmstil zweifellos. Die Kamera (Sven Nykvist) ist großteils statisch, ihre Bewegung folgt jener der Figuren. Aus Gesichtern und Licht entwirft Bergman jedoch genuin filmische Räume:

In unterschiedlichsten Filmen kehren Szenen wieder, in denen kleine Akzentverschiebungen in der Ausleuchtung plötzlich eine Figur ins Dunkel tauchen. Allein das Gesicht bleibt sichtbar und mit der Dauer der Einstellung verändern sich allmählich die Züge bis zur völligen Entleertheit von Ausdruck. Eine Form des Erzählens, die, zumal vor dem Hintergrund zeitgenössischer Schnittkaskaden, ihre fremde Schönheit entfaltet.

"Wir stehen uns nicht sehr nahe": So ließe sich vielleicht auch die landläufige, gegenwärtige Haltung gegenüber Bergmans Werk, das oft vom Eindruck weniger Arbeiten überschattet wird, beschreiben. Ab sofort kann sich das im Kino des Filmmuseums vielleicht ändern. (DER STANDARD, Printausgabe, 2.1.2004)