Neo-Intendant David Pountney über das "Phänomen Seebühne": "Die Bregenzer Festspiele sind eine Institution, die sich der Standardisierung in der Kultur widersetzt."

Foto: Dietmar Stiplovsek
David Pountney (56), international anerkannter Opernregisseur, ist in Bregenz (zwischen)gelandet. Die nächsten fünf Jahre, "vielleicht auch zehn", wird Pountney, der während seines Englisch- und Geschichtestudiums in Oxford die Liebe zum Theater entdeckte, die künstlerische Richtung der Festspiele bestimmen.

Der Brite mit den klingenden Ehrentiteln "Commander of the British Empire" und "Chevalier des Arts et des Lettres" nahm Anfang Dezember seine Arbeit als Intendant der Bregenzer Festspiele auf.

Pendler

Nun pendelt David Pountney zwischen den Opern-Metropolen und seinen beiden Landsitzen, dem fixen Arbeitsplatz in der österreichischen Provinz und seinem Haus im unbekannteren Teil des Burgund.

Wo die Charolais-Rinder grasen und "ein Haus noch erschwinglich ist", hat er sich mit seiner Lebenspartnerin, der deutschen Regisseurin Nicola Raab, ein Refugium eingerichtet. "Dort inszeniere ich nur meinen Garten", schmunzelt der Blumenfreund. Fragt man David Pountney, was ihn denn beruflich an der Provinz interessiert, zieht er verwundert die Brauen hoch. Nicht alltägliches Theater zu machen, habe nichts mit Provinz oder Großstadt zu tun. Es gehe vielmehr darum, den "sterilen Prozess der kulturellen Polarisierung wieder rückgängig zu machen".

In Bregenz habe man bewiesen, dass ein Openair-Festival nicht zur billigen Touristenware verkommen muss. "Bregenz hat einen fabelhaften Ruf dafür, mit seriösen Ideen ein Massenpublikum anzusprechen."

Subvention vervierfacht

Rund 200.000 Besucherinnen und Besucher zählt das Festival pro Saison. Was Region und Staat Wertschöpfungseffekte von rund 100 Millionen Euro pro Jahr bringen. "Der Staat erhält jeden Subventions-Euro vervierfacht zurück", errechnete Bernhard Felderer vom Institut für höhere Studien in einer Umwegrentabilitätsstudie.

David Pountney sieht auch den gesellschaftspolitischen Effekt: "Es ist die Pflicht aller Kultur sich um die Gesundheit unserer gemeinsamen Vorstellungskraft zu kümmern." Eine Gesellschaft ohne Phantasie sei gefährlich, weil ihr das Verständnis für Anderes, Fremdes fehle. Pountney: "Eine hochentwickelte kommunale Phantasie ist Voraussetzung für eine gesunde Demokratie."

Verständliche Sprache

Freilich müsse sich die Kunst "den Menschen in einer Sprache mitteilen, die sie verstehen", meint Pountney.

"Wenn sich Musik nur an jene wendet, die eingeweiht sind, dann hat sie nichts zu sagen; dann ist das ein bedauerlicher Verrat an ihrer eigenen Macht." In Bregenz gelinge der Spagat zwischen Kunst und Unterhaltung.

Die Bregenzer Festspiele seien aber "ein recht einsames Leuchtfeuer mitten in einer Welt, die mehr und mehr versucht Kultur in Verdummung einerseits und elitären, intellektuellen Snobismus andrerseits zu unterteilen".

Die Unterteilung in E- und U-Musik ist für den Klassikexperten "eine teuflische kulturelle Zerstückelung". Im 20. Jahrhundert habe man einen Keil zwischen populäre und ernste Kunst getrieben. Pountneys Fazit: "Die so genannte ernste Kunst ist der Verlierer dabei." Denn die Oper habe ihren ehemals starken Einfluss auf das künstlerische Leben eingebüßt.

Macht der Komödie

Pountneys Rat: Man solle sich in den Opernhäusern wieder mehr auf die Macht der Komödie besinnen, immerhin sei "das hinterhältige Sticheln von Humor und Satire ist eine der wirksamsten Waffen, mit denen sich die Kunst in die Politik einmischen kann."

Vielleicht, sinniert Pountney, "sind Musicals die Opern von heute, die die Menschen sehen wollen". Schließlich gehe es darum, die Menschen zu erreichen.

Pountney: "Einer, der mich nicht versteht, kann auch nichts von mir lernen."

"Troubadour" auf der Seebühne

2005 will der neue Intendant Verdis "Troubadour" auf die Seebühne bringen. Diese Oper sei wie geschaffen für die Seebühne. Wegen der Musik mit ihrer "wunderbar wilden Energie" und "spektakulären Gesangspartien, die packende Emotionen transportieren".

Leidenschaft und Dramatik sollen das Publikum begeistern. Nicht nur direkt am See, sondern in der ganzen Stadt. "Die Festspiele sollen zu ihrem Publikum gehen, man soll das Festival überall bemerken", träumt David Pountney von einem Gesamtkunstwerk. (Jutta Berger, DER STANDARD, Printausgabe, 3./4.1.2004)