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Auf einen Kaffee im "Jelinek" in der Otto Bauer Gasse im sechsten Wiener Gemeindebezirk.

Foto: APA/GUENTER R. ARTINGER
Wien - ... tut die neue Besatzung des Traditionslokals das, was Neocafetiers oft schwer fällt: Nichts. Der Ofen bleibt. Allein die Frage nach der Zukunft des silbrig glänzenden, leise vor sich hin bullernden 100-jährigen Monsters lässt Nicole Haas die Hände über dem Kopf zusammenschlagen: "Um Gottes Willen, den Ofen greifen wir nicht an. Ganz bestimmt nicht."

Das, betont Haas, sei auch Programm: Der Ofen - Marke "American-Heating" ("ein Rolls Royce unter den Öfen. So weit wir wissen auch das letzte Original in einem Wiener Café") - gehöre schließlich zur Seele des Lokals. So wie die Patina, die vergilbenden Tapeten, die Künstler- und Stammgastfotos oder der Spruch "Wer es eilig hat, wird hier nicht bedient" über der Schank. Und Lokale mit Seele, meint auch Haas' Partner Stephan Schiffner, dürfe man nicht einfach renovieren. Da könne man ja gleich eine schicke 08/15-Espressobar draus machen - und darauf habe er überhaupt keine Lust. Weder als Gast noch als Wirt.

Deshalb schritten Haas (gemeinsam mit ihrem Mann Manfred) und Schiffner (mit seiner Frau Karin) zur Tat: Seit Mittwoch führen die Gastronomenpaare das traditionsreiche Café Jelinek im sechsten Bezirk. Die beiden bisherigen Cafetiers, das Ehepaar Knapp, war mit Jahreswechsel in Pension gegangen. Ganz leise.

Hätten sie, die Knapps das an die große Glocke gehängt, wäre das 1910 in der damals "Kasernen-Gasse" genannten Otto-Bauer-Gasse gegründete Lokal wohl überrannt worden. Und Trubel, wissen Jelinek-Kenner, war so ungefähr das Letzte, was die alten Betreiber des oft "kleines Hawelka" genannten Cafés wollten: Über Jahre hinweg hatten sie sich erfolgreich gegen jede Modernisierung - der antike Ofen war ein Glaubensbekenntnis - gewehrt und waren zu Originalen geworden: Sei es, weil die Knapps - ihre Vornamen (Günther und Maria) kannten nicht einmal Stammgäste - prinzipiell in weißen Apothekermänteln arbeiteten. Sei es durch die liebevoll mütterlich-autoritäre Art der Frau Knapp ("Kuchen? Zuerst essen Sie mir eine Suppe. So wie Sie heute aussehen."). Sei es, weil der hintere, durch Stiegen erhöhte Teil des Lokals - mit einer Samtkordel abgesperrt - nur einer Hand voll Gästen offen stand.

Dass dahinter noch ein dritter - blauer - Salon lag, erfuhren sogar Schiffer und Haas erst, als sie das Jelinek übernahmen. Und das, obwohl die vier in befreundeter und professioneller Nachbarschaft des Cafés aktiv sind: Vor vier Jahren hatten die beiden Paare das dem Jelinek gegenüberliegende Gasthaus "Zur Stadt Salzburg" übernommen und aus dem darnieder liegenden Grindschuppen das "Steman", heute ein Fixpunkt der jungen Altwiener Gasthausszene, gemacht: "Das Konzept war einfach: Wir haben nur die grauenhaften 70er-Jahre-Blenden entfernt", erklärt Stefan Schiffner. Als Zugeständnis an moderne Mägen wurde Bodenständiges etwas leichter - und man setzte konsequent auf die Begriffe "lokal", "regional" und "Qualität".

Dass die Steman-Crew da mit liebevollen ("wir hatten bewusst nichts auf der Karte, was es im Jelinek gab") und besorgten Augen ("die Knapps haben oft gesagt, dass sie nicht mehr lange durchhalten") über die Gasse schaute, überrascht da nicht. Und dass der alte Ofen bleibt, auch nicht. (Thomas Rottenberg/DER STANDARD, Printausgabe, 9.1.2004)