Zurück nach Riga kam sie danach als Außenministerin - der bisherige Höhepunkt in ihrem wechselvollen Leben, das im Dezember 1952 in Togur bei Tomsk in Sibirien unter unerfreulichen Umständen begonnen hatte. Der Vater, die Mutter und die Großeltern von Kalniete waren nämlich 1941 vom Stalin-Regime dorthin verschleppt worden. Die Großeltern starben in einem Arbeitslager, Sandra Kalnietes Eltern lernten sich in der Verbannung kennen. Erst 1957 durfte die Familie aus der Internierung zurück in die lettische Heimat.
Die eigenen Erfahrungen und die Erzählungen der Eltern hat Sandra Kalniete 2001 in ihrem dritten Buch, "Mit Tanzschuhen im Schnee Sibiriens", verarbeitet. Sie sind auch ein Schlüssel zur Erklärung von Konzept und Karriere der parteilosen Politikerin.
Kalniete, die Kunsthistorikerin, die während der letzten Jahre der Sowjetherrschaft Generalsekretärin der lettischen Künstlergewerkschaft war, gehörte zu den MitgründerInnen der Freiheitsbewegung, die ihr Land in die Unabhängigkeit von Moskau führte. Von Beginn an arbeitete Kalniete für das neue Außenministerium, zunächst als Protokollchefin, dann vier Jahre lang als Botschafterin bei der UNO in Genf. In ihrer Pariser Zeit vertrat sie Lettland auch bei der Unesco. Nach diesen Erfahrungen mit internationalen Organisationen dürfte ihr die zunächst sechsmonatige "Lehrzeit" in der EU-Kommission, die sie am 1. Mai antreten wird, leicht fallen.
Vermittlerqualitäten hat Kalniete jedenfalls; es gelang ihr, sich aus dem Koalitionsgezänk in Riga herauszuhalten. Sie gilt als einer der angesehensten PolitikerInnen in einem Land, in dem eine Frau Staatspräsidentin ist, in dem aber Kalniete, selbst geschieden, noch viele patriarchalische Strukturen aus der alten Sowjetzeit erkennt.