Wien - Er galt als querdenkender Paradiesvogel bereits zu einer Zeit, als dies noch nicht Mode war.

In den 50er-Jahren, als sich diverse Strömungen zeitgenössischen Komponierens noch mit phasenweise religiösem Ernst voneinander separiert wissen wollten, war Luc Ferrari einer, der unerhörterweise mehreren klingenden "Glaubensrichtungen" angehörte. Der zu einer eigenen, mitnichten Darmstadt-orthodoxen Form seriellen Komponierens fand und der sich ab 1958 parallel mit "Musique concrète" und schon Anfang der 60er-Jahre mit offenen, teils improvisatorisch zu realisierenden Formen und auf Loops und Repetition basierenden Konzepten beschäftigte. Letzteres unter Ablehnung der "maschinellen" Striktheit der Minimal Music und unter Einbeziehung des Unschärfefaktors Mensch.

Kein Zufall also, dass der heute 75-jährige Pariser in den 90ern insbesondere vonseiten der US-Improvisationsszene (John Zorn, David Grubbs) neu "entdeckt" wurde; kein Zufall auch, dass Ferrari auf Initiative des "Instituts Fünfhaus", hinter dem Werner Dafeldecker, Burkhard Stangl und Christof Kurzmann stehen, am Samstag im neuen Saal des Wiener Konzerthauses gastierte.

Ferrari hatte Stücke ausgewählt, die in ihrem Balanceakt von makroformaler Fixierung und mikrostruktureller Detailgestaltung Ideen vorwegnehmen, die in den letzten Jahren zunehmend Aufmerksamkeit fanden. In Tautologos 3 (1969) gilt als Spielregel: Jeder erfindet sein in Dauer und Gestalt freies, aus Klang und Stille bestehendes Loop und repetiert dieses während des gesamten, halbstündigen Stücks - mit der Möglichkeit, auf die ständig wechselnden Überlagerungen jener Motive mittels Variation zu reagieren.

Ferrari selbst schritt wiederholt von einem Ende der Bühnen zum anderen, um "seinen" Akkord etwa dreißigmal in die Tastatur zu hämmern. Kleine Klangzellen wuchsen dem Hörer in zunehmender Vertrautheit ans Ohr, Bass-Pizzicati, bauchige Blasgeräusche der Trompete, kurze, schnelle Bassklarinetten-Crescendi, düstere Klang-Interpunktierungen vom Computer, Klänge, die sich sowohl als in sich als auch interaktiv veränderliche Soundorganismen zu gebärden schienen.

In Et tournent les sons dans la garrigue von 1977 fügten sich sechs Abschnitte, in denen Artikulationsart und die Beschränkung auf jeweils eine Tonhöhe pro "Pattern" vorgegeben waren, zu einer Crescendo-Decrescendo-Kurve. Liegeklänge wanderten anfangs durch die Instrumente, fächerten sich sukzessive zu einer von Schwebungen und mikrotonalen Reibungen erfüllten, schillernden Farbtextur, einer faszinierenden Mikropolyfonie auf, die in der Folge verschiedenste Aggregatzustände zwischen Vibrato, repetitivem Puls und nervöser Flüchtigkeit durchlief.

Vielleicht hätten die Instrumentalisten hier noch mehr formale Sogwirkung hin zur Klimax entfalten können. Das Publikum nahm diese junge Musik auf Basis intelligenter, jung gebliebener Konzepte in jedem Fall dankbar auf. (DER STANDARD, Printausgabe, 13.1.2004)