Wien - Eine fragile, brüchige Stimme tastete dienstags im Wiener Porgy & Bess nach den Worten, ein warmes, dunkles Organ, das jeden Ton unter scheinbaren Mühen gebar und umso dramatischere Wirkung entfaltete, wenn es sich überraschend zu eindrucksvoller souliger Expressivität aufschwang.

Andy Bey heißt der Mann, der derart unnachahmlich abgesungene Hadern aus dem Great American Songbook wie unter dem Seziermesser Wort für Wort mit existenzieller Tiefe erfüllte. "Es kommt nicht auf den Song an, es ist deine Annäherung an ihn, die seine Wirkung ausmacht - die nur eintreten kann, wenn du wirklich etwas zu sagen hast. Du musst gelebt haben!", sagt der 64-Jährige aus New York, und das Besondere liegt weniger in diesen Sätzen als darin, was in ihnen konkret mitschwingt. Andy Bey ist tatsächlich einer, den Leben und Karriere vor harte Proben gestellt haben.

Er sei - "schwarz und schwul" - schon immer eigene Wege gegangen, "noch bevor ich HIV-positiv war." Als Teenager gefeierter Star mit Andy & The Bey Sisters, kam seine folgende Solokarriere 1966 ins Stocken. Der Debüt-LP Experience and Judgement (1970) folgten zwei Dekaden, in denen Bey zwar als Sideman u. a. für Horace Silver und Gary Bartz arbeitete, in dem aber niemand an seinen Solokünsten interessiert war.

Erst mit Ballads, Blues and Bey, 1995 obskurerweise auf private Initiative eines Anwalts aus Detroit aufgenommen, brach er den Bann, seither sind einzelne Strahlen der grellen Scheinwerferlichts, dessen sich vokaler Jazz seit den 90er-Jahren erfreut, auch auf Andy Bey gefallen.

"Ich sehe viel Verpackung, aber auch Talent", meint Bey im Hinblick auf die gehypten Jung-Primadonnen Diana Krall und Norah Jones, durchaus ohne Bitterkeit. Obwohl Bey nur zu gut um die Widersprüche einer Musik weiß, die vielfach noch immer für Offenheit und Toleranz steht, jedoch Themen wie Homosexualität lieber unter den Tisch kehrt. Und obwohl er selbst mit einem einzigen, mit ächzender Stimme hervorgebrachtem Wort mehr Aussage transportiert als die jüngeren Semester in ganzen Liedern. (Andreas Felber/DER STANDARD, Printausgabe, 15.1.2004)