Milan Kundera
Jacques und sein Herr
Hommage an Denis Diderot in drei Akten. Aus dem Französischen von Uli Aumüller. € 15,40/128 Seiten. Hanser, München 2003.

Geschichte der verpassten Gelegenheiten. Stellen wir uns vor, ein neuer Roman von Milan Kundera würde erscheinen. Es wäre ein Ereignis. Er würde groß und respektvoll in den Messebeilagen besprochen; immer wieder allerdings käme die Klage, dass Kunderas neue, französische Bücher nicht mehr den Witz und Reichtum seiner tschechischen hätten.

Nun, jetzt wurde ein tschechisches Werk Kunderas zum ersten Mal ins Deutsche übersetzt. In diesem Herbst publizierte der Hanser-Verlag Kunderas legendäre Bühnenbearbeitung von Denis Diderots "Jacques, der Fatalist" mit einem alten Vor- und einem neuen Nachwort des Autors. Ein Text aus Kunderas bester Zeit: Geschrieben 1968 nach dem Einmarsch der Roten Armee in Prag (welcher Kundera bei einem Saunabesuch mit Gabriel García Márquez, Julio Cortázar und Carlos Fuentes überraschte), eine fröhlich-erotische Fantasie über Macht, Liebe und das Theater selbst, die gleichwertig neben dem Scherz, dem "Buch vom Lachen und Vergessen" und der Dichtersatire "Das Leben ist anderswo" stehen kann. Nach vernünftigen Maßstäben hätte es eine Sensation sein können.

Den Literaturbetrieb aber interessierte es nicht. So gut wie keine Rezension erschien, schließlich handelte es sich nicht um einen Roman, und die Werbeabteilung des Verlags hatte wahrscheinlich kein Großereignis angekündigt. Anders als es jeder noch so knappen Novelle Kunderas geschehen wäre, tauchte dieses Buch nicht auf der Bestsellerliste auf, war in den Geschäften kaum vorrätig, verschwand ohne Echo wieder vom Markt.

Was nichts daran ändert, dass wir es hier mit einem von Kunderas Hauptwerken zu tun haben. Oft genug hat er ausgeführt, welche Bedeutung er Diderots praktisch ausschließlich aus Abschweifungen bestehendem Roman, in welchem sich ein ungenannter Herr und sein Knecht auf einer Reise mit unbekanntem Ziel in ein schier unendliches Gespräch verlieren, für seine eigene Ästhetik beimisst: "Jacques, der Fatalist" ist für Kundera der nicht gewählte Weg des europäischen Romans, eine Möglichkeit, der zu folgen unsere Kulturgeschichte unterlassen hat, um sich stattdessen der formalen Strenge des Flaubertschen Konzepts makelloser Prosa zu fügen.

Dieser Roman, so Kundera, ist der letzte Nachklang der Erbschaft von Rabelais und Sterne: die Leichtigkeit, der Verzicht auf die gerade Linie und das Korsett der strengen Form. Zugleich ist er, in seiner Verkettung unzähliger Handlungsstränge und seinem Verzicht auf irgendetwas auch nur entfernt einem Plot Ähnelndes, wohl eines der am schwersten zu dramatisierenden Werke der Weltliteratur. (DER STANDARD, ALBUM, Printausgabe vom 17./18.1.2004)