Wien - "In Wahrheit sind die Kleinen die Privilegierten in Europa." So kommentierte Sonja Puntscher-Riekmann von der österreichischen Akademie der Wissenschaften bei der Präsentation des Forschungsprojekts "Handlungsraum kleinerer Staaten in Mitteleuropa" am Montag in Wien den EU-Verfassungskonflikt. Die Debatte zwischen Groß-und Kleinstaaten sei wieder aufgebrochen, das Scheitern des Brüsseler Gipfels "fatal für den europäischen Integrationsprozess". Die öffentliche Diskussion in dieser Frage ist für sie zu einseitig, neben kleinstaatlichen Interessen müsse man beispielsweise auch bedenken, dass der größte EU-Staat Deutschland nicht im Verhältnis zu seiner Größe mit Stimmen ausgestattet sei.

Die Studie des Instituts für den Donauraum und Mitteleuropa (IDM) umfasst sieben europäische Kleinstaaten: Österreich, die EU-Novizen Tschechien, Slowakei und Ungarn, den Anwärter Kroatien sowie Liechtenstein und die Schweiz. Als Kernpunkt nennt Heinrich Neisser, wissenschaftlicher Leiter des Forschungsprojekts und ehemaliger Zweiter Nationalratspräsident, die Frage, ob die politischen Systeme, vor allem der EU-Neuen, den Herausforderungen transnationaler und -regionaler Zusammenarbeit gerecht werden können. Es brauche ein Mindestmaß an föderalistischen Strukturen mit dem Ziel, den Status der Regionen zu erhöhen.

Neue Aufgaben dabei sieht Neisser in der Schaffung klarer regionaler Strukturen und der Stärkung der regionalen Autonomie. Darin erkennt Botschafter Emil Brix, stellvertretender Vorsitzender des IDM, auch wirtschaftliche Vorteile: Durch eine regionale Arbeitsteilung komme man von der Vorstellung weg, Kleinstaaten könnten nur in wirtschaftlichen Nischen Erfolg haben. Notwendig hierfür sei eine starke nachbarschaftliche Kooperation.

"Die Erweiterung wird die Vielfalt in der Einheit in ganz entscheidendem Maße vergrößern", sagte Neisser voraus. Für Puntscher-Riekmann ist der Einfluss Brüssels, also der EU-Institutionen, dabei jedoch sehr gering. In den Mitgliedstaaten sei man heute mit einer Haltung konfrontiert, die stärker Nationales in den Vordergrund stellt. Eine Neuformulierung der europäischen Interessen über nationale Grenzen hinaus sei notwendig. (sh/DER STANDARD, Printausgabe, 20.1.2004)