Wien - Zur Debatte zwischen Groß- und Kleinstaaten in der EU richtet Milan Kucan, ehemaliger Präsident von Slowenien, im STANDARD-Gespräch während eines Wien-Besuchs kritische Worte an die Großen: "Das Verhältnis in der EU ist nur gut, wenn es für alle gut ist. Wenn die Großen nur ihre Macht untereinander aufteilen, werden die Kleinen bald weg sein." Ständige Allianzen, wie die Bildung eines "Kerneuropa" sind für Kucan negativ. "Da würde sich eine Seite gegen die andere stellen, das ist weit entfernt vom Geist eines gemeinsamen Europa." Vorübergehende Allianzen werde sich Slowenien schon suchen. "Der Partner wird derjenige sein, der mir in einer Situation am nächsten steht."

Slowenien bringe in die EU die Erfahrung einer multinationalen Gemeinschaft (Exjugoslawien in friedlichen Zeiten) mit. Auch habe das Land Träume, die Europa vielleicht schon aufgegeben hat: "Die Vorstellung einer EU, die nicht nur durch wirtschaftliche Interessen, sondern auch durch gemeinsame Ideen, Ideale und ethische Werte verbunden wird." Auf die Neuen sieht Kucan ein Mehr an Chancen und Verantwortung zukommen. "Von hohen Gipfeln sieht man die Landschaft anders als von niedrigen."

Die Avnoj-Dekrete von 1943 zur Vertreibung und Enteignung der deutschsprachigen Minderheit, ein Streitpunkt zwischen Österreich und Slowenien, sind für Kucan "nicht umstritten". Sie seien in einer bestimmten Zeit entstanden und hätten damals ihre Wirkung gehabt. Die von Außenminister Dimitrij Rupel und dessen österreichischer Amtskollegin Benita Ferrero-Waldner eingesetzte Historikerkommission sieht Kucan grundsätzlich positiv. "Sie muss aber nach historischen Maßstäben agieren und nicht nach politischen. Die Politiker dürfen sich auch nicht hinter den Historikern verstecken."

Das Verhältnis zu Kroatien sei grundsätzlich gut, gestört werde es aber durch ungelöste Probleme wie den seit Jahren schwelenden Streit zwischen den Ländern über die Seegrenze. "Das Interesse Sloweniens ist klar: Zugang zum offenen Meer. Ein Konsens in dieser Frage ist möglich." Bereits gefundene, vorläufige Übereinkommen seien dabei wichtig. "Beide Staaten müssen diese Probleme selber lösen, ohne die EU damit zu belasten." (DER STANDARD, Printausgabe, 23.1.2004)