"Die neu oder wieder zugelassenen Schreibweisen treten neben die bisherigen"

Illustration: derStandard.at
Wien - Eine Liberalisierung der Rechtschreibregeln dürfte ab dem 1. August 2005 bevorstehen. Dies schlägt der vierte Bericht der Zwischenstaatlichen Kommission für deutsche Rechtschreibung vor, dessen wichtigste Teile von deutschen Reformgegnern vorab veröffentlicht wurden. Anhänger der neuen Regeln müssen aber nicht verzweifeln: Sämtliche Reformschreibweisen bleiben aufrecht, in Streitfällen oder "Grauzonen" soll es für den Anwender eine "Ausweitung der Wahlmöglichkeiten geben", so Fritz Rosenberger, im Bildungsministerium für die Umsetzung der Reform zuständig.

Die Kommission habe unter anderem immer wieder auftretende Fehlerquellen analysiert, so Rosenberger. "Unsere Aufgabe war es auch, die Umsetzung der Reform zu beobachten", meinte der Österreich-Vertreter in der Kommission, Karl Blüml. Im Gesamtzusammenhang seien die Änderungen laut Rosenberger "minimal" und würden auch Unsicherheiten bereinigen, die schon vor der Reform bestanden hätten.

Das Eine oder Andere wird neu

Als Beispiel nannte Rosenberger etwa die unbestimmten Zahlenadjektive wie "der eine", "die andere" und "die wenigen". Diese hätten bisher klein geschrieben werden müssen - allerdings: "Man kann diese auch als Substantive sehen." Daher sollen nach den Vorschlägen der Kommission auch "der Eine", "die Andere" und "die Wenigen" zulässig sein, wenn diese substantivisch gebraucht werden ("Die Einen sagen dies, die Anderen das").

Gleiches gilt für Verbindungen von Vorwörtern und gebeugten Adjektiven wie "von neuem" oder "ohne weiteres" - künftig soll nach den Kommissionsvorschlägen auch "von Neuem" oder "ohne Weiteres" möglich sein.

Sind Sie Rat Suchende?

Liberalisiert werden auch Zweifelsfälle bei der Getrennt- und Zusammenschreibung: Wenn sich keine klare Entscheidung treffen lässt, ob eine Wortgruppe oder eine Zusammensetzung vorliegt, werden bei Fällen wie "ein Zeit sparendes Verfahren" oder "ein zeitsparendes Verfahren" bzw. "ein Rat suchender Bürger" oder "ein ratsuchender Bürger" beide Schreibweisen zulässig sein.

Geklärt wurden auch Einzelfall-Regelungen: So soll etwa ab 2005 neben "Leid tun" auch "leidtun" geschrieben werden können. Und bei der Schreibung mit "fach" ist auch die Variante mit Bindestrich zulässig - also sowohl "5fach" als auch "5-fach".

Zeitpunkt

In Kraft treten sollen sämtliche Änderungsvorschläge mit 1. August 2005, also dem Auslaufen der Übergangsfrist für Schulen und Behörden. Blüml, der zu den Änderungen selbst wegen der vereinbarten Verschwiegenheitspflicht nicht Stellung nehmen wollte, geht davon aus, dass die Vorschläge von der deutschen Kultusministerkonferenz akzeptiert werden würden. Sein Fazit: "Im Wesentlichen ändert sich nichts, es werden nur zusätzliche Varianten erlaubt."

Die Rechtschreibreform ist mit 1. August 1998 in Kraft getreten. Dabei wurde eine Übergangsfrist von sieben Jahren festgelegt, während der die bisherigen Schreibweisen als überholt gelten, in den Schulen aber nicht als Fehler gewertet werden. Medien, Autoren, Firmen, Private konnten freiwillig entscheiden, ob sie die neue Schreibweise wählen oder die alte beibehalten.

Reaktionen

Mit Empörung reagierte der Deutsche Lehrerverband: "Das Prinzip der Beliebigkeit breitet sich immer mehr aus. Wir erwarten ein Machtwort von der Politik", sagte Verbandspräsident Josef Kraus der "Bild"-Zeitung. Die deutsche Kultusministerkonferenz (KMK) will am nächsten Freitag über einen entsprechenden Entwurf der Zwischenstaatlichen Kommission beraten.

Die Initiative "Wir gegen die Rechtschreibreform" kritisierte, dass die Zwischenstaatliche Kommission sich selbst die alleinige Kompetenz zur Änderung von Regeln und Schreibweisen zuweisen wolle. "Dieselben selbsternannten 'Experten', die einst hinter verschlossenen Türen durch ein beispiellos missratenes Reformwerk der deutschen Schriftsprache unübersehbaren Schaden im In- und Ausland zugefügt und die Einheitlichkeit zerstört haben, wollen in Zukunft nach Lust und Laune darin herumpfuschen", heißt es in einer am Freitag veröffentlichten Erklärung. Damit wolle sich der Bock selbst zum Gärtner machen. (APA)