Hamburg/Berlin - Der Autor des kurzfristig vom Rowohlt Verlag gestoppten Romans "Endstufe", Thor Kunkel, hat in einem Offenen Brief heftige Kritik an einem "Spiegel"-Artikel geübt. Der Bericht von Henryk M. Broder in der jüngsten Ausgabe des Magazins liefere "ein völlig verzerrtes Bild" seiner Person und seiner schriftstellerischen Tätigkeit, heißt es in dem Brief Kunkels. "Die Art und Weise, wie ihr Reporter aus unautorisiertem Material zitiert, es verzerrt, entstellt und mich als verkappten Rechten und Revisionisten darstellt, ist Rufmord in Reinkultur."

"Diese Sorte Ablasszettel..."

Kunkel hat sich weiters in der neuen Ausgabe des Magazins "Stern" gegen Vorwürfe gewehrt, er unterstütze rechtsradikale Einstellungen. "Ich sitze nicht mit braunen Kameraden am Stammtisch. Ich würde mich eher in der Anarcho-Ecke sehen". Kunkel beansprucht für sich, aus eigener Sicht über das Dritte Reich zu schreiben. "Ich glaube nicht, dass die Bilder, die wir bisher kannten, ausreichen, um das Phänomen Drittes Reich mit all seinen Schrecken nachfühlbar zu machen", sagte er. Wenn es um die NS-Zeit gehe, würden "bestimmte Pawlowsche Verbalreflexe" abverlangt. "Mehr Bezug zum Grauen, Betroffenheitsgebärden, explizite Darstellungen der Nazibrutalität. Doch diese Sorte Ablasszettel schreibe ich nicht."

Es sei wichtig, sagte Kunkel, "dass sich jemand traut, eigene Gedanken zum Weltgeschehen zu formulieren, und zwar jemand, der einen deutschen Pass hat und Sätze formuliert, die nicht hundertprozentig konform sind". Man müsse in der Lage sein zu sagen: "Das Dritte Reich war mehr als Stalingrad und Auschwitz."

Buch soll nun bei Eichborn erscheinen

Unter der Überschrift "Steckrüben der Stalinisten" hat Broder im "Spiegel" aus dem umstrittenen Roman Kunkels zitiert, das nun bei Eichborn Berlin erscheinen soll. Laut Broder haben Rowohlt-Verleger Alexander Fest sowie Lektoren des Verlages das Werk und den Autor als revisionistisch und distanzlos gegenüber dem nationalsozialistischen Gedankengut beurteilt. Fest war bislang nicht zu einer Stellungnahme zu erreichen.

Textzitate sollen beweisen, "dass ich 'die Wiedergeburt Parzifals als rechter Schläger' bin"

"Durch eine nicht ungeschickte Textmontage" werde der Eindruck vermittelt, es handele sich bei einigen Zitaten um persönliche Bekenntnisse, schreibt Kunkel. "Es erschreckt mich zutiefst, wenn ich jetzt lese, dass Fest aus diesem (...) fiktiven Text Sätze zitiert, die beweisen sollen, dass ich "die Wiedergeburt Parzifals als rechter Schläger" bin."

"Mehr als einmal insinuiert Broder, ich sei Auschwitzleugner und Revisionist. Zur Klarstellung: (...) ich verurteile die Gräuel des Nazi-Regimes, so wie jeder halbwegs vernunftbegabte Mitmensch. Ich leugne weder Auschwitz, noch pflege ich irgendeine Art des Revanchismus", betont Kunkel.

Kunkel will Leser "zutiefst berühren" und provozieren

Er wolle seine Leser "zutiefst berühren" und provozieren. Sein Roman solle "endlich die subtilere Form des Bösen hinter dem braunen Kolorit sichtbar machen". Der Roman beschreibe "neben den zeitgeistlichen Strömungen auch die "geistige Wirklichkeit" von Techno-Hedonisten, die sich durch Tauschgeschäfte von Pornofilmen in Kriegszeiten bereicherten".

Wegen Differenzen in "inhaltlichen und ästhetischen Fragen" hatte der Rowohlt Verlag in Reinbek (Schleswig-Holstein) das Buch Ende voriger Woche überraschend zurückgezogen. Unterdessen gab der Eichborn Berlin bekannt, das Werk im April herauszugeben.

Eichborn: Kunkels Roman hat "nichts ideologisch Anrüchiges"

Für Programm-Chef Wolfgang Hörner von Eichborn Berlin hat Kunkels Text "nichts ideologisch Anrüchiges". "Es ist ein hoch spannender, glänzend geschriebener Roman, der teilweise sehr witzig ist und sicherlich auch provokativ", sagte Hörner am Montag der dpa. Nach der Lektüre des Manuskriptes und Gesprächen mit dem Autor könne er die "aufgeregte Diskussion" nicht nachvollziehen. "Der Text ist ganz bestimmt nicht nationalsozialistisch angehaucht. Das ist völlig absurd", betonte Hörner. "Viele werden sich wundern, wenn sie im April das Buch lesen und es nach all diesen Debatten nicht wiedererkennen." (APA/dpa)