Installationsdetail 2008

Helmut Lang übertrug die Techniken der Kunst auf die Mode. Unterstützung fand er dabei u. a. bei Kurt Kocherscheidt und Elfie Semotan.

Foto: hl-art

Helmut Lang, Selbstportrait 2007

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Stephan Hilpold besuchte ihn in seinem Studio in New York.

Verloren steht ein Kleiderständer in dem großen, weißen Studio. Die Kleidersäcke, die daran hängen, sind Fremdkörper in einem Reich, in dem sich früher einmal alles um Mode gedreht hat. Jetzt geht es in dem schnörkellosen Raum, der durch riesige Schreibtisch-Blöcke strukturiert ist und durch den das klare Manhattaner Licht wie ein Scheinwerfer strahlt, um Kunst. Gerade werden die letzten Katalogfotos aussortiert für die erste große Einzelausstellung von Helmut Lang. Der Österreicher ist der wohl berühmteste Ex-Modemacher der Welt. Einer, auf dessen Rückkehr viele wie auf einen Messias warten.

Es ist Ende Juli, und von der Asphalthitze, die in New York wieder einmal herrscht, ist mitten in Soho, in der Greene Street Nummer 82, nichts zu spüren. Früher war im Erdgeschoß Langs New Yorker Geschäft. Jetzt bespricht Lang im Obergeschoß mit einem seiner Mitarbeiter leise die Reihenfolge der Bilder seiner Skulpturen. Er, dem schon immer der Ruf des Scheuen und Komplizierten anhing, hat sich vor dreieinhalb Jahren von seinem Modelabel getrennt und sich still und leise zurückgezogen. Jener Teil der Modeszene, die den Designer vergöttert, schrie auf, vom Modemacher selbst aber hörte man kein Wort. Er verbringe seine Zeit auf Long Island, wussten seine alten Wiener Freunde: in Amagansett, am östlichen Ende der Halbinsel, zwei Stunden von New York entfernt.

Mexikanischen Kampfhennen

Hier hatte er sich bereits 1999, einige Zeit nachdem er von Wien nach New York gezogen war, zusammen mit seinem Lebenspartner einen Rückzugsort geschaffen. Direkt am Atlantik, hinter den Dünen, am Ende des Grundstücks nur der Horizont. Jene, die dort waren, berichten von Wiesen, fünf simplen Holzhäusern im Stil der Saltbox-Häuser des 18. Jahrhunderts, endlosen Stränden und vielen Hühnern. Mexikanischen Kampfhennen. "Es ist eine Farm", sagt Helmut Lang "deswegen haben wir auch Tiere dort. Ich bin das gewohnt, meine Großeltern hatten auch einen Bauernhof, da gehören Tiere hin."

Er sagt das mit seiner sonoren, vom Wienerischen genauso wie vom Amerikanischen gefärbten Stimme und so, als sei es langsam an der Zeit, die Geschichten rund um sein Landleben zu zerstreuen. Am Höhepunkt seines Rückzugs veröffentlichte er Protokolle über die Legegewohnheiten seiner Hendln und ließ sich vom Fotografen Bruce Weber mit braungebrannter Brust und einem Huhn auf dem Arm fotografieren (für das Cover der Modezeitschrift Fantastic Man). Der Spaß, den ihm diese Aktionen bereiteten, lacht heute noch aus ihm. Jetzt aber sagt er: "Mein Leben in der Abgeschiedenheit ist ein Mythos, den ich nicht korrigiert habe, weil ich in Ruhe meine Sachen vorbereiten wollte."

"Die Sachen", von denen der 52-Jährige spricht, tragen Namen wie "Three", "Arbor" oder "Next Ever After", sie sind aus Gummi und PVC, aus Eisen und Teer, sind Skulpturen oder Installationen und werden ab Ende August in der Kestnergesellschaft in Hannover gezeigt. Dreieinhalb Jahre nachdem Lang das letzte Mal scheu über den Laufsteg huschte, wird er dann (nach einem kleinen Aufwärmprojekt in einer Galerie in Brooklyn) sein Debüt in einer anderen Welt des Glamours und der Stars feiern: jener der Kunst.

Bleibt zu Hause

An der Eröffnung teilnehmen will er nicht: "Ich gehe lieber zur Eröffnung anderer Leute. Wenn ich meine Arbeit präsentiere und im Mittelpunkt stehe, dann ist mir das zu viel. Die Kunst sollte für sich selbst sprechen." Wir halten fest: Der Mann, der das amerikanische Mode-Establishment vor den Kopf stieß, als er die Verleihung der wichtigsten amerikanischen Modepreise schwänzte (er bekam den CFDA-Menswear-Designer-of-the-Year-Preis), wird auch bei seinem Eintritt in die Kunstwelt seinem Wesen treu bleiben – und zu Hause bleiben.

Lang will weniger von Brüchen als von Entwicklungen sprechen. Seine Kunstarbeiten sieht er als die Fortsetzung seiner Kreativität in einem anderen Medium: "Ich habe immer schon Kunst gemacht. Sie ist wie ein dünner roter Faden durch mein Leben gelaufen, den ich immer wieder aufgenommen habe. Jetzt verdichte ich ihn." Aus vielen anderen Mündern würde man eine solche Aussage abnicken und sich fragen, warum so viele Modemacher unbedingt in die Gefilde der Kunst vordringen möchten.

Bei Helmut Lang ist das anders. Seine Nähe zur Kunst, seine Beschäftigung damit, die vielen Künstlerfreundschaften, begleiteten ihn von Anfang an. Wahrscheinlich ist sie die Antwort auf die Frage, wie ein Autodidakt, der bis zu seinem zehnten Lebensjahr in einem steiermärkischen Hochtal (in der Ramsau) aufwuchs, zu einem der einflussreichsten Designer des ausgehenden zwanzigsten Jahrhunderts werden konnte.

Leinwand oder Stoff

Szenenwechsel ins südliche Burgenland, Mitte der Achtzigerjahre: Hier hatten sich der Künstler Kurt Kocherscheidt und seine Frau, die Fotografin Elfie Semotan, zwischen Maisfeldern, Bäumen und Blumen ein Bauernhaus um- und ausgebaut, eine Kunstklause samt Atelier mit Fußbodenheizung. Ein Rückzugsort – auch für den über zehn Jahre jüngeren Helmut Lang. "Ich bin viel mit Kurt in seinem Atelier gesessen. Damals habe ich eines verstanden: Er hat eine weiße Leinwand vor sich, ich ein Stück Stoff. Der Prozess, der zum Ergebnis führt, ist in den verschiedensten Disziplinen sehr ähnlich."

Anders als viele aus seiner Zunft orientierte sich Lang an modefernen Dingen. "Ich habe mich bewusst nicht an Regeln gehalten, ich habe Stoffe umgedreht, habe i i Schuhe angesprüht. Das wurde als radikal angesehen, aber für mich war das ein normales, notwendiges Ausdrucksmittel."

Die Kunst ist seit der Moderne von ebensolchen Techniken geprägt, die Mode griff sie erst in den Achtzigern auf. Einer der Protagonisten im Experiment mit Materialien und Formen war Lang. 1979, 23-jährig, eröffnete der ehemalige Barkeeper und Absolvent der Handelsakademie eine Boutique in Wien: Bou Bou Lang. Ab 1986 zeigte er in Paris. Seine Mode, die bald zur Lieblingsausstattung der Intellektuellen und der Kreativen wurde, war ein Akt des Understatements – und gleichzeitig eine Huldigung an die Langlebigkeit.

Spitzen-Gummikleid

Lang war weniger von den Rüschen Wiens beeinflusst als vom Loden aus der Ramsau oder den Arbeitermonturen von der Straße. Sein Großvater betrieb eine Schuhwerkstatt, exaktes Handwerk und die verschütt gegangene österreichische Tradition der Maß-schneiderei inspirierten ihn von Anfang an. "Ich bin jemand, der auf traditionelle Dinge zurückgreift, aber dann entsteht der Zwang, es in etwas Zeitgemäßes umzustrukturieren. Das ist eine Art Gegenreaktion." Oft war das die Verwendung anderer, neuer oder stark bearbeiteter Materialien, meist in ungewohnten Kombinationen. Zu seinen berühmtesten Kreationen zählt bis heute ein ärmelloses Spitzen-Gummikleid.

Zwanzig Jahre später, an diesem heißen Nachmittag in Soho, trägt Helmut Lang keine Maß-, sondern Turnschuhe, mit denen man in Europa höchstens joggen gehen würde. Auf den ersten Blick hat sich der Mann, der auf einer Art Barhocker vor einem sitzt, in einen prototypischen Amerikaner verwandelt: T-Shirt, Jeans und Baseballkäppi. Doch alles sitzt unangestrengt perfekt. Das T-Shirt ist mitternachtsblau und weder zu weit noch zu eng, die gestopften Denims unterstreichen den athletischen Körper.

Ob er nach den vielen Jahren in der Modebranche mit Verbitterung zurückschaue? "Überhaupt nicht", sagt Lang: "Im Gegenteil. Es ist angenehm, dass ich mich nur mehr mit jenem Teil des Modegeschehens beschäftigen muss, der mich wirklich interessiert. Man blickt dadurch offener auf das Geschehen, man vergleicht nicht alles mit sich selbst."

Langs Abgang liegt nicht weit zurück, die Chronologie der Ereignisse lässt sich in wenigen Sätzen zusammenfassen: 1999, am Höhepunkt von Langs Erfolg – wegen ihm hatte man die New York Fashion Week um sechs Wochen vorverlegt -, verkauft er an Prada-Chef Patrizio Bertelli 51 Prozent seines Unternehmens. Bertelli stellt die gewinnbringende Jeans-Linie aus Image-Gründen ein. Er drängt auf Kompromisse, was die Qualität der Produkte anbelangt, will neue Accessoires sehen. 2004 verkauft ihm Lang die restlichen 49 Prozent. Insgesamt soll er bei beiden Deals rund 100 Millionen Dollar verdient haben. Zu diesem Zeitpunkt ist das Unternehmen schon stark defizitär. Lang verlässt im Februar 2005 das Label. Bertelli verkauft es an einen japanischen Konzern, der das amerikanische Ehepaar Michael und Nicole Colovos als Designer engagiert. Sie sind heute die Kreativköpfe des Helmut-Lang-Labels.

Phase der Globalisierung

Das, betont Lang immer wieder, sei für ihn kein Problem: "Irgendwann in den späten Neunzigern habe ich mich entschieden, langsam in die Kunstrichtung zu gehen und mit der Mode aufzuhören." Sein Abgang sei also langfristig geplant gewesen? So konkret hat das Lang öffentlich noch nie gesagt. "Ja und nein. Unbewusst hatte ich eine Ahnung, wie sich die Dinge in der Mode entwickeln werden. Als ich nach Amerika ging, war die Mode in einer Phase der Globalisierung. Das war sehr interessant am Anfang, aber ich wusste auch, dass ich das selbst nicht möchte. Wenn eine Firma sehr groß wird, und viele Mitarbeiter hat, entfernt man sich – fast als Bestrafung für den Erfolg, den man hat – von dem, was man eigentlich machen will."

Stattdessen wollte Lang die Uhr noch einmal zurückdrehen. Sich selbst ein konzentriertes, kreatives Arbeiten ohne Störgeräusche ermöglichen. Vier Mitarbeiter sind heute da in dem typischen Cast Iron Builing in Soho. In Manhattan ist das administrative Zentrum von HL-Art, Langs Firma, unter der seine Kunstarbeiten firmieren.

Die Kunst selbst fertigt er in seinem Anwesen in den östlichen Hamptons: "Zum Arbeiten bevorzuge ich einen ruhigeren Platz, zur Präsentation muss man unter die Menschen. Daran hat sich über die Jahre nichts geändert." Lang ist ein Mensch der Gewohnheiten. Er reist kaum mehr, in Wien ist er seit seinem Umzug nach Amerika nicht mehr gewesen. Seinen engen Freunden ist er verbunden wie einer Familie. Die 96-jährige Künstlerin Louise Bourgeois besucht er regelmäßig in ihren Ateliers, ebenso Jenny Holzer. Mit beiden bestritt er 2001 eine Ausstellung in der Kunsthalle Wien. Mit Holzer hatte er schon zuvor bei einer Kunstbiennale in Florenz gearbeitet. Die Worte, die Lang über den 1992 verstorbenen Kurt Kocherscheidt wählt, beschreiben wohl auch das Verhältnis zu den beiden: "Kurt und ich hatten ein gemeinsames Verständnis für Dinge, wir wollten Zeit miteinander verbringen, und wir mussten nicht alles zu Ende erklären." Letzterer Punkt ist einer, vor dem es Lang bis heute graut.

Mythologie des Maibaums

Erklärungen zur Kunst gibt Lang heute genauso ungern ab wie weiland zu seiner Mode. "Eine Skulptur ist eine Skulptur, und entweder man hat einen Zugang dazu oder nicht. Kurt Kocherscheidt hat einmal gesagt, wenn man zwanzig Menschen vor ein Kunstwerk stellt, dann bekommt man nachher zwanzig Meinungen zu hören. Genau dazu ist ein Kunstwerk auch da." Über jenes, das in Hannover im Hauptraum seiner Ausstellung stehen wird, lässt sich Lang aber doch länger aus, es ist eine Installation, die von der Symbolik des Maibaums inspiriert ist. Des Maibaums? "Ja, jede Kultur kennt die Mythologie des Maibaums. Er ist ein Symbol für Sexualität und Befruchtung. Er verbindet die horizontale mit der vertikalen Ebene, Himmel und Erde, das Menschenverbindende und die Anderswelt."

Neben neuen, noch nie gezeigten Arbeiten werden in Hannover auch jene Werke zu sehen sein, die Lang schon einmal ausgestellt hat, die Installation "Séance de Travail" damals in der Kunsthalle in Wien und die von der Janusmythologie beeinflusste Arbeit, die er Ende letzten Jahres in der "The Journal"-Galerie in Brooklyn zeigte: eine Art Discokugel, die die Umgebung reflektiert und gleichzeitig absorbiert. "Bei diesem Werk geht es darum, zurückzuschauen, und gleichzeitig nach vorne zu gehen", erklärte Lang damals.

Auch an diesem Punkt hat sich bei Helmut Lang nicht viel geändert. "Erst das Verständnis für Traditionelles ermöglicht es für mich, neue Ideen und Vorstellungen zu entwickeln", sagt er, bevor er den Journalisten wieder in die Manhattaner Nachmittagshitze entlässt. Er selbst hat sich bis jetzt daran gehalten. (Stephan Hilpold/Der Standard/rondo/29/08/2008)