Hoteliers der etwas anderen Art: Das Künstler-Duo "Atelier für Sonderaufgaben", das hinter dem "Null-Stern-Hotel" steht, besteht aus Frank und Patrik Riklin. Und wer glaubt, die zwei sind Zwillinge, hat recht.

Foto: Atelier für Sonderaufgaben

Als Honeymoon-Suite kaum geeignet, dafür gibt's Wärmeflaschen, und mit Glück kann man im Stundentakt duschen.

Informationen:
Null-Stern-Hotel
Atelier für Sonderaufgaben

Foto: Atelier für Sonderaufgaben

Der Eingang ist eine Kellerstiege aus fettem Beton, die Tür ein einfaches Gitter. Hinter diesem verbirgt sich das erste "Null-Stern-Hotel" der Welt im schweizerischen Sevelen. Die kleine Gemeinde bei St. Gallen erfreut sich seit dem ersten Testlauf Berühmtheit in aller Welt, brachte sogar CNN einen Bericht über das wohl unromantischste Hotel der Welt. Kein Wunder, ist das Hotel doch eine Luftschutzanlage, deren Herbergsbetrieb in Kürze aufgenommen werden wird.

"Wir haben den Nerv der Zeit getroffen", glaubt Frank Riklin. Zusammen mit seinem Zwillingsbruder Patrik will er mit dem mehr als ungewöhnlichen Hotel eine Antwort auf den "Größen- und Luxuswahn der heutigen Zeit geben, respektive die Antithese zum vergangenen Herbst eröffneten Hotel Atlantis The Palm in Dubai formulieren." Ausgangspunkt für das Projekt war ein Auftrag der Gemeinde Sevelen, eine leerstehende Zivilschutzanlage nutzbar zu machen. "Das Militär ist kein verlässlicher Kunde mehr", sagt Gemeindepräsident Roman Zogg dazu. Deshalb sollen nun Familien, Ski- und Wandertouristen in den Untergrund gelockt werden. Das 35-jährige Künstlerduo vom St. Gallener "Atelier für Sonderaufgaben" betont, dass sein Projekt weitaus mehr als nur eine Hetz sei. Das subversive Hotel soll "mit den Waffen der Kunst Schwächen zu Stärken" umwandeln. Stark sind in dieser krisenfesten Herberge vor allem die Wände. Fetter Beton umgibt den Hotelgast, unverkleidete Lüftungsschächte machen die Sache nicht unbedingt gemütlicher. Eine militärische Anlage eben, gebaut für wahr werdene Albträume.

"Dekoration wäre der Tod des ,Null-Stern-Hotels'", erklären die Gebrüder Riklin. "Wir möchten die Patina der Anlage nicht zerstören. Der Kontrast zwischen Bunker und Hotel muss bestehen bleiben, um das künstlerische Spannungsfeld zwischen high und low aufrechtzuerhalten."

Kontrastreicher Anblick

Null Sterne bedeutet für sie aber nicht null Luxus. Der Gast kann aus vier Komfortklassen auswählen, wie "luxuriös" er sich einbunkern will: Standard, Komfort, First Class und Luxus. Insgesamt 54 Schlafplätze umfasst das Angebot derzeit. Im Standardzimmer gibt es Militärstockbetten, am anderen Ende der Skala stehen die Luxuszimmer, die durch Jugendstilbetten einen nostalgischen Touch bekommen. Aber mehr nicht.

"Die Jugendstilbetten stehen direkt vor nackten, teils von Soldaten angeritzten Wänden - ein kontrastreicher Anblick", sagen die Initianten. Vielleicht auch eine interessante Gute-Nacht-Lektüre. Wer Luxus bucht, bekommt morgens den Kaffee an die Bettkante serviert und findet auch noch täglich ein Betthupferli im Nachtkastl. Für ein wirklich heißes Stück Gemütlichkeit im Betonklotz sorgen nicht etwa schlüpfrige Spind-Fotos, sondern Wärmflaschen.

Gekostet hat das Konzept bislang keinen Franken. Das soll auch so bleiben. Zum Konzept gehört, dass die Einwohner der Ortschaft mit einbezogen werden. So sind die Betten Dachbodenfunde der Einheimischen. Sevelens Einwohner spenden auch die nötigsten Dinge wie Bettwäsche und Nachtlämpchen und betreuen die Gäste ehrenamtlich. Freiwillige sollen - in weißem Hemd und schwarzer Fliege - Butlerdienste leisten. "Die Rolle des Hoteldirektors ist auf alle Einwohner der Gemeinde Sevelen verteilt", verkündet ein kurioses Manifest, das die Hotel-Richtlinien festlegt.

Virtuelles Hotelfenster

Für die Nacht zahlt der Gast zwischen umgerechnet sieben und 20 Euro - und damit weniger als in der Jugendherberge. Neben Kleingeld sollte der Gast auch ein wenig Abenteuersinn mitbringen. Denn im Hotel spielt man mit Schutzkeller-Notlagen. Warmwasser ist knapp. Per Glücksrad wird deshalb bestimmt, wer in den Genuss einer warmen Dusche kommt. Frauen duschen zur vollen, Männer zur halben Stunde. Fenster gibt es freilich keine. Nur eine Livecam als "virtuelles Hotelfenster" versichert dem Gast, dass die Welt da draußen noch existiert.

Der Hotelname ist bereits zum Markenschutz angemeldet. Die Zwillinge wollen ihre Idee weiterverfolgen und eine Kette gründen. Außerdem wittern sie im Gegensatz zu anderen Hoteliers Morgenluft - dank der Finanzkrise: "Wir wenden uns auch an Banker - als kostengünstiges Seminarhotel", sagt Patrik Riklin. Sollte es auf der Welt weiterkriseln und das "Null-Stern-Hotel" ausgebucht sein, dürfte die Schweiz touristisch anderen Ländern etwas voraushaben, besaß das Land auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges doch rund 20.000 Befestigungsanlagen.  (Andrea Eschbach/DER STANDARD/Rondo/20.2.2009)