Zwei Millionen Trinkhalme verbaute Yoshioka für seine Installation "Tornado".

Foto: Hersteller

Installation "Clouds"...

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... und einige seiner Objekte in der von Yoshioka kuratierten Schau "Second Nature" im Tokioter Museum "21_21 Design Sight".

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Zwei Millionen Trinkhalme - wie ein gigantischer Mikadosturm durchzogen sie die Räumlichkeiten. Mit Tornado sorgte Tokujin Yoshioka auf der "Design Miami" für einigen Wirbel, und prompt kassierte er für die Installation den Titel "Designer des Jahres". Das war 2007.

"Ich gestalte Zeit, Luft und Licht", sagt der Japaner. Das klingt schwer greifbar. Doch Yoshioka ist dabei, mit seinem Design die gesamte Branche zu beeinflussen. Sein Eindruck auf die junge Design-Generation in Japan ist groß, und auch im Westen herrscht Sturmwarnung. Bereits in der 2006 erschienenen Monografie Tokujin Yoshioka Design verneigen sich die Größen der Branche wie Issey Miyake, Ross Lovegrove und Ingo Maurer vor dem Talent des Jüngeren. Mittlerweile ist er mehrfach preisgekrönt, auch der "Wallpaper Design Award 2008" ging an ihn, und anlässlich des diesjährigen Salone del Mobile in Mailand wählte auch das Interior-Magazin Elle Décoration Yoshioka zum "Designer des Jahres". Der 1967 geborene Japaner spielt in seinem Design mit Assoziationen, die Naturphänomene wie Wolken, Sonnenstrahlen und Wasser beim Betrachter freisetzen.

Zwei Mentoren

Seit 2000 führt Yoshioka sein eigenes Design-Studio mitten in Tokio. Dafür ließ er einen 150 Jahre alten Reisspeicher aus der japanischen Präfektur Shimane abreißen und das Holzfachwerk Stück für Stück im schicken Stadtteil Daikanyama zu einem modernistischen Atelier aufbauen. Dies verrät viel über den Designer: Schließlich besitzen in der Welt Yoshiokas auch Räume eine Seele. Zwei Mentoren stehen am Anfang seiner Blitzkarriere: Nach seinem Interior-Design-Studium an der Kurasawa Design School arbeitete er zunächst im Studio Shiro Kuramatas, dem 1991 verstorbenen Altmeister des japanischen Designs. Ab 1988 entwarf er für Issey Miyake zahlreiche Ausstellungsgestaltungen und Shop Designs. Eine der poetischsten Schaufenstergestaltungen für den großen Modeschöpfer ersann Yoshioka 1997. Mitten im heißen Tokioter Sommer ließ er im Miyake-Showroom Schneeflocken rieseln. Das dichte Schneegestöber war aus flaumigen Federn, die von einem Ventilator immer neu hochgewirbelt wurden.

"Ein Schneekristall ist für mich schöner als jedes andere Design", sagt Yoshioka. Er ist fasziniert von den flüchtigen Erscheinungen der Natur. Der Reiz des Flüchtigen wohnt auch seinen Raumgestaltungen inne. Nie gibt es dieselbe Installation zweimal, immer verschwindet mit dem Ende der Präsentation auch deren Vision. "Mein Design ist wie ein fließendes, schön drapiertes Kleid, das Sanftheit und Unvorhergesehenes in sich vereint", sagt er. Darin steht er den Arbeiten von Olafur Eliasson nahe. Und so wie die Werke des dänischen Künstlers mit Licht, Luft, Wasser und ein paar Parabolspiegeln optische Täuschungen hervorbringen, so spielt auch Yoshioka mit der Illusion.

Wie bei Eliasson macht auch bei Yoshioka erst die Reaktion des Betrachters das Werk vollkommen. Ob Freude oder Erstaunen - Emotion bringe sein Design zum Schwingen, glaubt Yoshioka. 2003 verblüffte er die Passanten auf der Tokioter Einkaufsmeile Roppongi Hills mit einem gläsernen Stuhl. "The Chair that disappears in the Rain" tat genau das, was sein Name versprach: Der wie von Wasserschlieren überzogene Stuhl aus optischem Glas schien sich im Regen nahezu aufzulösen. Yoshioka gelingt darin die Dematerialisierung von Masse durch Transparenz. Als "den Geist eines Möbels" beschreibt Paola Antonelli, Designkuratorin des New Yorker Museum of Modern Art, das kühne Stück.

Kunst aus Schnäuztüchern

Die Möbel Yoshiokas bestechen durch ihre artifizielle Künstlichkeit. Nur selten benutzt der Designer Farbe als Gestaltungsmittel. Weitaus mehr schätzt er transparente oder schneeweiße Oberflächen. Wer den Gestaltungsansatz des Japaners als ästhetische Spielerei abtun will, missversteht seine Philosophie gründlich. Der Visionär will mit seinem radikalen Ansatz nichts weniger, als Transparenz, Bewegung und Licht materialisieren. "Mir geht es darum, das erhabene Gefühl der Schönheit, welche uns die Natur offenbart, sichtbar zu machen." Auch alltägliche Gegenstände wie einfache Papiertaschentücher werden in Yo- shiokas Hand zu ästhetischen Meister-Installationen: Für den Mailänder Showroom der Firma Moroso befestigte er unzählige Papiertaschentücher an den Wänden - ein surrealistischer, schneeweißer Traumraum. Die Suche nach der guten Form ist seine Sache nicht. "Ich verwende eine Menge Zeit auf das Konzept und das Material", sagt er. Seine Faszination gilt synthetischen Materialien wie Fiberglas und Kunststoff. Konsequent meidet er dagegen Holz, will er doch die Verschwendung natürlicher Ressourcen so gering wie möglich halten. Auf der Suche nach Material und Fertigungsmethode für seine Entwürfe arbeitet er eng mit der Technologie- und Entwicklungsabteilung jener Firma zusammen, für die er entwirft.

Beispielsweise bei dem Stuhl "Pane" für Moroso (2007). Dafür werden handgeknetete Polyesterfasern in eine Form gepresst und im Brennofen gebacken - fast so, als handle es sich um Brotteig. "Ein Konzept ist häufig inspiriert von dem Wunsch, Materialien auf eine neue Art und Weise zu benutzen", sagt Yoshioka. Dies zeigt sich auch in dem wohl bekanntesten Möbel Yoshiokas, dem "Honey-Pop"-Stuhl (2001). Der in bedeutenden Designsammlungen weltweit vertretene Entwurf besteht aus nichts als weißem Papier: Die 120 wabenartig angeordneten Papierschichten sind zunächst flach wie ein Zeichenblock. Zieht man sie wie ein Akkordeon auf, entsteht ein luftiger Armlehnsessel. Ein Stück voller spielerischer Leichtigkeit, das an den italienischen Meister Bruno Munari denken lässt.

Ausflug in eine andere Welt

Design, so sagt Tokujin Yoshioka, erinnere ihn an die atemberaubenden, stets sich wandelnden Wolkenformationen, wie man sie aus Flugzeugfenstern betrachtet: "Ich wünschte, ich könnte die Wolke mit nach Hause nehmen." Im Falle der Ausstellung des von Issey Miyake gegründeten Tokioter Museums "21_21 Design Sight" hingen die Wolken tief. Unter dem Titel "Second Nature" hat Tokujin Yoshioka Entwürfe von Kollegen wie Ross Lovegrove, den Campana-Brüdern und Makoto Azuma zusammengetragen, die wie er "neue, naturähnliche Formen" schaffen wollen. Yoshioka selbst präsentiert seine jüngsten Entwürfe wie den "VENUS - Natural Crystal Chair", das Ergebnis seiner Experimente mit künstlichen Kristallen. Ein Block aus Polyesterfasern wird in einem mit mineralischer Lösung gefüllten Aquarium mit den Kristallen überzogen. Die Form des Stuhls wächst innerhalb eines Monats allmählich heran. "Dieses unvorhersehbare Element lässt mich die Schönheit der Natur spüren", sagt Yoshioka. Für den Blick auf das Design von morgen hat Yoshioka eine wolkenähnliche Installation geschaffen. Mehr als 360.000 Fiberglas-Stäbe in unterschiedlichen Längen hängen von der Decke. Man fühlt sich wie in eine andere Welt versetzt - eine Welt, in der einen trotz aller wundersamen Formen plötzlich viel weniger wundert. (Andrea Eschbach/Der Standard/rondo/15/05/2009)