Die Stücke, die Jeremy Scott trägt, sind Teil der Kollektion, die er für Adidas entworfen hat. Der Bestseller: die Flügel-Sneaker.

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Helmut Lang stellte einmal die Forderung auf, Kleider sollten keine Witze erzählen. Ob er dabei an Jeremy Scott gedacht hat, ist nicht überliefert. Die Designs des Modemachers aus Los Angeles machen nämlich genau das: Sie sind stoffgewordene Witze. Ob die Hamburger-Röcke seiner Food Fight-Kollektion, zu Königspudeln mutierte Models, die eine Hochzeitstorte als Robe tragen, oder riesige Panzerknacker-Fußspuren auf Oversized-T-Shirts - Jeremy Scott ist kein Leisetreter, und mit welcher Überzeugung er sich dem Trash hingibt, ist in Zeiten des modischen Purismus eine Seltenheit.

Wir treffen ihn am Adidas-Stand auf der Berliner Bread&Butter. Zum 60. Geburtstag hat sich die Marke aus Herzogenaurach ein Geschenk gemacht und den exzentrischen Designer mit dem Irokesen wieder zu einer Kollaboration gebeten. Mittlerweile geht Jeremy Scotts Originals by Originals-Kollektion für Adidas bereits in die dritte Saison. Der Designer trägt Zebramustershorts zu einem quietschig-bunten Comicshirt und Turnschuhen mit Flügelchen.

Enfant terrible

Mitte der 1990er wurde er für solche ausgefallenen Designs in Paris als Enfant terrible bezeichnet, später in New York dafür gefeiert. Karl Lagerfeld zählt zu seinen Freunden, VIPs wie Kanye West, Madonna, Lady Gaga oder Björk tragen seine Outfits bei ihren Konzerten. Es kommt wohl nicht von ungefähr, dass es Scott nach Stationen in New York, Paris und Japan schlussendlich in die Plastikhochburg Los Angeles zog. Eine Aura des Kindlichen umgibt ihn, wenn er von seiner Salz- und Pfefferstreuer-Sammlung erzählt, scheu seine Hände in die Hosentaschen stopft und zum Nachdenken immer wieder die großen Augen betont nach oben rollt. "Mein Alltag in L. A. ist eigentlich ziemlich normal. Ich arbeite sehr viel. Ausgehen ist mittlerweile nicht mehr so mein Ding. Auch wenn man es mir nicht ansieht, ich mache viel Sport", sagt er.

Neben Pop-Art und Zitaten der Techno-Ära haben es Scott besonders Cartoonfiguren angetan. In seiner aktuellen Herbst-Winter-Kollektion landete Mickey Mouse im Zentrum der Aufmerksamkeit. Das Ergebnis: Sneaker mit Maus-Köpfen, rote Schleifen, Cocktail-Kleidchen und gepunktete Pumps. "Dieser Comic-Spleen stammt aus meiner Kindheit", erklärt er. "Ich bin auf einer Farm in Kansas aufgewachsen. Durch das Fernsehen konnte ich in meine ganz eigene Traumwelt entfliehen. Ich liebte Serien wie Donald Duck, The Jetsons oder The Flintstones." Mit seiner Mickey-Mouse-Kollektion führte Scott aber durchaus tiefere Gedanken im Schilde: "Auch damals, als Disney diese Figuren erschuf, gab es eine Wirtschaftskrise, und Mickey, dieses positive, freundliche Wesen, hat die Menschen aufgeheitert. Heute wollen die Leute auch wieder positive Dinge, davon bin ich überzeugt."

Ich bin ein Landei

Scott erzählt, er sei irgendwo am Ende der Welt aufgewachsen, seine Familie hatte nie etwas mit Mode zu tun, er war schon immer etwas anders. Er wollte Kunst machen. Mode wurde nur zufällig zu seiner Ausdrucksform. "Es ist mir unangenehm, wenn mich Leute fragen, welche Jugenderinnerungen ich an die Marke Adidas habe. Ich habe keine. Ich bin ein Landei, keine Ahnung, was wir damals anhatten, Marken zumindest nicht!" Er erinnert sich gern daran, wie seine Großmutter Kleider flickte und neue aus Stoffresten abgelegter Teile nähte - eine Erinnerung, die seinen Designansatz prägte und ihn heute darin bestärkt, ungewöhnliche Wege zugehen.

Auch für die Kooperation mit dem Herzogenauracher Sportmulti macht Scott sein Ding. Die Zusammenarbeit mit Adidas katapultierte Scott ins Licht der Öffentlichkeit. Sein humoristischer Ansatz verträgt sich bestens mit Sportswear, das tut Image und Umsatz gut. Modelle wie der Wings, ein prägnanter Hightop mit Flügeln, verdampfen in den Regalen. Kein Wunder, dass die Kooperation erstmal unbefristet läuft.

Ideen, meint Scott, habe er reichlich. Dass manche Kreative für Kooperationen nur ihren Namen hergeben und lieblose Austauschware produzieren, kann er nicht nachvollziehen. Kreationen wie die Bondage-Hose, aber auch den Tiger-Overall, trägt er selbst. Und wenn unbedingt jemand über sein Outfit einen Witz machen soll, dann lacht er selbst am lautesten. (Romy Uebel/Der Standard/rondo/18/09/2009)