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Aus der Kollektion von Peter Pilotto

Foto: Reuters/Stefan Wermuth

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Der Tiroler Peter Pilotto (links) und der Belgier Christopher de Vos (rechts) stecken hinter dem in London ansässigen Label Peter Pilotto. Die beiden sind für ihren unkonventionellen Umgang mit Farben bekannt. Für ihre kommende Frühjahrskollektion ließen sie sich von den Farben Venedigs beeinflussen.

Foto: APA/EPA/JONATHAN BRADY

Bevor Michelle Obama am 28. Oktober ins Yankee Stadium zu einem Spiel zwischen den Yanks und den Philadelphia Phillies aufbrach, besuchte sie Veteranen des Irak- und Afghanistankrieges in einem Spital in der Bronx. Einen nach dem anderen drückte sie an ihre Brust. Später hielt sie eine Rede. Das rot-gelb-weiß gescheckte Top mit dem kleinen schwarzen Haifischkragen, das sie an diesem Tag trug, war auf allen Bildern zu sehen. Sie gingen via Nachrichtenagenturen hinaus in die Welt.

Der Designer Peter Pilotto brauchte dennoch zwei Tage, bis er von Obamas Stippvisite im Gesundheitszentrum erfuhr. Er befand sich gerade in seinem kleinen Atelier im Centre for Fashion Enterprise in London, als der Twitter ihn erreichte. Ein Freund hatte die Bluse, die Pilotto ein halbes Jahr zuvor auf dem Laufsteg vorstellte, wiedererkannt. Pilotto war zum Obama-Designer aufgestiegen. Das hat noch kein Designer aus Wörgl geschafft. Auch nicht aus Österreich.

Zwei Wochen später grinst Pilotto noch immer, wenn die Rede auf die bekannteste Trägerin seiner Mode kommt. Sie hat das Teil bei Ikram erstanden, der berühmten Designerboutique in Chicago. "Ich wusste das gar nicht", sagt Pilotto. Wir befinden uns in Zürich, in einigen Stunden wird die Entscheidung fallen, wer den mit 100.000 Euro dotierten Stella-Modepreis erhalten wird. Allein die Einladung zu dem renommierten Bewerb ist eine Ehre.

Verlässlichster Barometer

Pilotto hat einige richtig gute Saisonen hinter sich: Die Kollektion, die er im September in London vorstellte, wurde von 90 Händlern gekauft. So viele waren es noch nie. Kein englisches Modemagazin, das auf die Kreationen des 32-Jährigen verzichten würde. "Pilotto verkauft sich wie wild", befand die wichtige Onlineplattform style.com und listete dann auf, wer seine Kreationen alles trägt: An erster Stelle (neben Rihanna, Kylie Minogue und Sienna Miller) die diversen Moderedakteurinnen. Sie sind das verlässlichste Barometer, das derzeit angesagt ist. In einem Kleid von Peter Pilotto fallen sie auf.

Das hat mit dem Hang des Tirolers zu Farbe zu tun. Während andere Jungdesigner vorzugsweise auf Schwarz setzen, greift Pilotto, der sein Label seit nunmehr fünf Saisonen mit seinem Partner Christopher de Vos betreibt, ganz tief in den Farbtopf. Zu Beginn seiner Karriere sah das aus, als wäre Gustav Klimt ein Zeitgenosse. Pilotto mischte alle möglichen und manchmal auch unmöglichen Farbkombinationen. "An der Uni hat man uns beigebracht, radikal zu sein. Und das waren wir auch." Farbenfroher gebärdete sich wahrscheinlich nur Pilottos Lehrer in Antwerpen, der Designer Walter Van Beirendonck. Anders als der Teddy der belgischen Mode, zog Pilotto irgendwann aber den roten Teppich dem Skurrilitätenkabinett vor. Pilotto wollte nicht einer dieser Designer werden, die nur für ein Grüppchen von Freunden schneiderten. Oder auf T-Shirts lustige Sprüche druckten. Also zog er 2006 von Antwerpen nach London. Die Stadt an der Themse ist für Jungdesigner (neben New York) das beste Pflaster.

Hierher kommen zwar relativ wenige Einkäufer, dafür ist aber die Aufmerksamkeit, die Talenten entgegengebracht wird, um so größer. Englische Magazine räumen ihnen weit mehr Raum ein, als dies ihre französischen oder italienischen Kollegen je machen würden. Ein Freibrief, die Kreativität ungehemmt laufenzulassen, ist das nicht. Im Gegenteil: Sie muss auf die finanziellen Rahmenbedingungen abgestimmt werden. "Der ökonomische Druck, der auf Designer lastet, ist enorm", sagt Pilotto und erzählt dann von den Problemen, den unsteten Cashflow in den Griff zu kriegen.

Spezialgebiet: Cocktailkleider

Geholfen hat Pilotto dabei (neben seinem Partner) sein Hintergrund als Sohn einer Boutiquenbesitzerfamilie. "Pilotto Moda" heißt das Geschäft, das seine Eltern in Wörgl betreiben, und während sie sich mittlerweile vorzugsweise auf Streetwear spezialisiert haben, war dort in den Achtzigern alles zu kriegen, was gut und angesagt war. Pilotto wuchs inmitten glitzernder Dolce-&-Gabbana-Kleider und hautenger Versace-Minis auf. Das merkt man seiner Mode bis heute an. Sein Spezialgebiet sind Cocktailkleider, auch wenn er derzeit dabei ist, sein Sortiment zu erweitern.

Sie drapiert er mit großer Meisterschaft, rafft sie, spielt mit Volumen und Asymmetrien. Zu Pilotto-Kleidern werden die Kleider aber durch ihre besonderen Drucke. Am schönsten sind jene der kommenden Frühlings/Sommer-Kollektion. Erzählt Pilotto von ihrem Entstehungsprozess, wird es ein wenig kitschig. Sie sind von den Wasserspiegelungen Venedigs inspiriert. Als Pilotto und de Vos im Juli die Lagunenstadt besuchten und ein Feuerwerk den nächtlichen Himmel erleuchtete, blickten sie auf das dunkle Wasser. Was sie dort sahen, wollten sie auf ihre Kleider bringen. Aber natürlich nicht eins zu eins.

Die Meisterschaft des Designergespanns besteht in der beinahen abstrakten Umdeutung realer Bilder und deren Verfremdung durch ungewöhnliche Materialien. Manche Designs sind ein gewitztes Spiel mit Täuschungen: Die grobe Maschenstruktur auf der Venedig-Kollektion etwa sind reine Drucke. "Am meisten Zeit fließt in unsere Drucke ein", erklärt der zwischen Südamerika und dem Mittleren Osten aufgewachsene de Vos. Kennengelernt haben sich die beiden in Antwerpen. "Die Drucke spiegeln auch immer unseren spezifischen Londoner Blickwinkel wider." Sprich: In die beinahe tropische Farbenwelt der kommenden Frühjahrskollektion mischen sich viele Grautöne. In Hackney, tief im coolen Londoner Osten haben die beiden ein winziges Atelier zur Verfügung gestellt bekommen.

15 Mal klatschte sie in die Hände

Im kommenden Frühjahr müssen sie raus, dann läuft die Förderung aus. Das Geld, das in Zürich winkt, könnten die beiden also gut gebrauchen. Nur vier Leute arbeiten in ihrem Unternehmen, und dennoch hat es schon eine Größe erreicht, die zwar keineswegs die öffentliche Aufmerksamkeit widerspiegelt, die ihnen entgegengebracht wird, sich aber doch von anderen Start-ups unterscheidet. In der vergangenen Saison war auch Anna Wintour, die mächtige und einflussreiche Chefredakteurin der amerikanischen Vogue das erste Mal bei einer Pilotto-Show in London. Ganze 15 Mal klatschte sie in die Hände, das ist ziemlich viel. Nach der Modeschau kam sie hinter die Bühne und gratulierte: "Sie sagte, dass ihre Tochter unsere Kleider liebe und sie bereits öfters eines für sie gekauft habe."

Im August gab es eine ganze Seite in der US-Vogue. Sie wird sicher auch von Michelle Obama gelesen - leider aber nicht von der Jury des Stella-Wettbewerbs in Zürich. Beim Bewerb ging Pilotto leer aus, und die Enttäuschung ist ihm später am Abend anzumerken. Ein Trostpflaster aber bleibt: Der Sieger des Abends, der Designer Alexander Wang zählt Michelle Obama nicht zu seinen Kunden. Zumindest noch nicht. (Stephan Hilpold/Der Standard/rondo/20/11/2009)