Samen-und-Pflanzen-Abstandslineal

Foto: Cremer

Wir haben gerade einmal Mitte Jänner, also kommt jeder Gedanke an irgendwelche Vorziehaktionen von Gemüse und anderem zu früh - und zwar viel zu früh. Sogar für Saubohnen, auch Dicke Bohnen oder Ackerbohnen genannt. Die sind insofern des ungeduldigen Gärtners Liebkind, als sie so ziemlich das Erste sind, was man im Frühjahr an Samen - natürlich in ordentlich abgemessenen Abständen zueinander - in die Freiland-erde werfen kann. Aber auch erst dann, wenn der Frost den Boden wieder freigegeben hat.

Nein, das geht jetzt alles noch nicht, weshalb alternative Beschäftigungsformen gesucht werden müssen. Eine davon besteht beispielsweise darin, die Gartengeräte einem gründlichen Service zu unterziehen. Gartenscherenwetzen und so. Einölen. Setzhölzer und anderen Kram ordnen. Sozusagen alles hinter der Startlinie für den Frühling bereitmachen.

Perfekte In-die-Erde-Verbringung

Da das alles aber auch nicht wirklich winterendefüllend ist, werden wir Sie jetzt mit dem Virus höchsten Gartenstrebertums infizieren. Die Insignie desselben ist ein Gerät, das hierzulande nicht zu existieren scheint, in England aber weit verbreitet ist. Es heißt dort "Seed and Plant Spacing Rule". Die freie Übersetzung könnte in etwa so lauten: "Samen-und-Pflanzen- Abstandslineal".

Wenn Sie das jetzt als schrullig empfinden, geben wir Ihnen recht. Aber bitte, lesen Sie doch trotzdem weiter ...

Es handelt sich im Falle des Samen-und-Pflanzen-Abstandslineals um ein etwa ein Meter langes, linealartiges, schmales Brett. Darauf sind verschiedene Längeneinteilungen verzeichnet, die Setzweiten diverser Sämereien und Jungpflanzen angegeben, und - Höhepunkt! - es sind darin perfekte kreisrunde Löcher mit einem Durchmesser von rund sieben Millimetern in Abständen von etwa zweieinhalb Zentimetern gebohrt - für größere Samen und deren perfekte In-die-Erde-Verbringung natürlich.

Die Angelegenheit hat etwas höchst Absurd-Pedantisches und wirkt etwa so modern und in die Jetztzeit gehörig wie eine Bartbinde oder ein Sockenstopfholz. Trotzdem - es muss herrlich sein, ein solches Gerät sein Eigen zu nennen. Stellen Sie sich vor, wie Sie damit die Gemüserabatte auf und ab hüpfen und in schnurgeraden Linien alles das pflanzen, was später wie in Zierstich in die Erde gestickt zu keimen beginnt.

Samen-und-Pflanzen-Abstandslineal-Rausch

Da ein solches Gärtner-Tool hierzulande offenbar nicht aufzutreiben ist, werde ich an einem dieser finsteren Abende selbst eines herstellen. Ich kann mir auch vorstellen, im Zuge der Schaffensfreude in einen Samen-und-Pflanzen-Abstandslineal-Rausch zu verfallen und verschiedenste Variationen und Abhandlungen dieses segensreichen Instruments zu fertigen: eines für Pastinaken, eines für Rüben, eines für Salatpflanzen. Eines für die Nachbarn. Und so weiter.

Man könnte das Samen-und-Pflanzen-Abstandslineal auch um ein Setzholz rotieren lassen und kreisrunde Beete mit Pflanzenteppichen unterschiedlichen Wuchses und reizend kontrastierender Färbung komponieren. Die Möglichkeiten des Samen-und-Pflanzen-Abstands-lineals - sie scheinen unendlich. (Ute Woltron/Der Standard/rondo/15/01/2010)