Auf die Idee, dass jemand ohne Bremse durch die Stadt fährt, kommt ja keiner. Bis jetzt.

Foto: Embacher

Michael Embacher ist sich sicher: Um zu bremsen, braucht man keine Bremse. Nicht, wenn man Rad fahren kann - und auf dem richtigen Rad sitzt. "Ich bin", erklärt der Wiener Fahrradsammler, "schon einige Male von Polizisten angehalten worden - aber dass auf meinem Fixie weder vorne noch hinten eine Bremse ist, hat keiner je bemerkt." Embacher - im Brotberuf Architekt - lacht. "Wie auch: ich bin punktgenau stehengeblieben. Auf die Idee, dass jemand ohne Bremse durch die Stadt fährt, kommt ja keiner. Bis jetzt."

Das, weiß der Besitzer von 200 Fahrrädern ("alle fahrtüchtig!"), dürfte sich nun ändern. Zum einen, weil sich die wie Bahnräder bremsen- und freilauflosen Bikes gerade vom Geheimtipp zum Trend mausern. Und zum anderen, weil die Geschichte von Berlins Polizisten, die Fixie-Fahrer mittlerweile nicht bloß abstrafen, sondern deren Fahrgerät einziehen, medial breiten Niederschlag fand.

Aber der Reihe nach: "Fixie" ist eine Abkürzung. Sie steht für "fixed gear" - und beschreibt somit das wesentlichste Merkmal der Trend-Bikes. Denn nicht die fehlende Bremse definiert das "Fixie", sondern die starre Nabe: Solange sich das Hinterrad dreht, dreht sich die Kurbel. Im Sport gibt es das nicht bloß bei Bahnrädern, sondern auch beim Kunstradfahren und beim Radball - anders wäre das hier geforderte Rückwärtsfahren ja gar nicht möglich. Darüber, wie das "Fixie" auf die Straße kam, gibt es zwei Varianten der Radgeschichtsschreibung. Die eine Version fußt auf Designverliebtheit. Embacher etwa definiert die Schönheit von Fahrrädern - auch - über die Reduktion auf das Wesentliche: "Bahnräder", erklärt Embacher, "sind die puristischste Form des Fahrrades: Weniger geht nicht, mehr braucht man nicht."

Reine Übungssache

Denn auch bei diesen maximal reduzierten Fahrrädern, schwärmt der Architekt, sei alle Funktionalität gegeben, die ein (guter) Radfahrer brauche. Mehr noch: "Fixie-Fahren ist fast meditativ. Man fährt vorausschauender und ist mehr mit Rad und Strecke verbunden." Schließlich muss der Fahrer, um zu bremsen, das Hinterrad über die Pedale entschleunigen. Embacher: "Ich lehne mich nach vor, nehme Gewicht vom Hinterrad - und trete im Extremfall rückwärts. Das ist Übungssache."

Die andere Entstehungsvariante kommt aber direkt "von der Straße": 1994, bei der Radkurier-WM in London, staunten Europas Boten über jene Bikes, mit denen Kollegen aus US-Großstädten antraten. Alles, was nicht unbedingt nötig war, war abmontiert. US-Fahrer, wie die Boten-Legende O-Zone erklärten das damals so: "Was nicht da ist, wiegt nichts. Es kann auch nicht kaputtgehen und braucht keine Wartung. Und ein Rad ohne Komponenten ist auch für Diebe weniger interessant." Dieser Zugang basierte auch auf der Sozio-Struktur des amerikanischen Fahrradbotenwesens: Während in Europa meist Studenten oder junge Freiberufler auf dem Rad botenjobben, sind die US-Bikekuriere oft nur einen Hauch von der Obdachlosigkeit entfernt. Kein US-Bote würde sein Rad je vor einem Büro-Tower stehen lassen.

Trendsetter Fahrradbote

Vermutlich stimmen beide Geschichten. Das passt auch zum aktuellen Fixie-Boom: Längst orientieren sich Trends im (urbanen) Fahrradmarkt an dem, was Boten fahren - und die fahren immer öfter Renn- statt Mountainbikes. Gern auch Fixies. Weil aber der stylebewusste Durchschnittsradler andere Voraussetzungen als der Profi hat, ist das Fixie im Radgeschäft nur selten das "reine" Fixed-Gear-Bike: Es hat Bremsen. Denn weder Hersteller noch Händler, erklärt Martin Rösner, Kopf von "Mountainbiker.at", wollen die Nachrede, Kunden ungebremst ins Verderben fahren zu lassen. Rund 400 Fixies, schätzt der Händler, sind derzeit in Österreich unterwegs - "das geht gerade los." Freilich mit Purismusabstrichen: "Manche Käufer montieren die hintere Bremse ab. Die Vorderbremse lassen aber fast alle dran." Darüber hinaus werden die zwischen 700 und 3000 Euro teuren Trendbikes heute meist "doppelt" ausgestattet: "Wenn man das Hinterrad andersrum einsetzt, ist da ein zweiter Zahnkranz: Damit wird das Fixie zum ganz normalen Rad. Mit Freilauf - und nur einem Gang", erklärt Rösner.

Doch nicht nur deshalb ist es fraglich, wie lange Berlins Polizisten Fixies noch aus dem Verkehr ziehen werden: Im Sommer folgte das Bonner Amtsgericht der Beschwerde eines abgestraften Fixie-Fahrers. Denn eine Bremse, erkannte man sinngemäß im Akt "AG Bonn 337 Js 1152/09", sei eine Einrichtung, die zur Verminderung der Geschwindigkeit dient. Demnach sei auch der Starrlauf des Fixies eine Bremse. Strafe zahlen musste der Beschwerdeführer dennoch: Der Bike-Reduktion waren auch Klingel, Reflektoren und Licht geopfert worden. (Thomas Rottenberg/Der Standard/rondo/15/01/2009)