Ein Hausaltar aus der Wohnung von Alexandra Schlag, welcher, sofern er nicht gerade in einer Ausstellung zu sehen ist, auch verändert wird.

Foto: Alexandra Schlag

Der Slogan "Wohnst du noch oder lebst du schon?" ist eigentlich gar nicht so blöd. Aber wie lässt sich herausfinden, wo denn das eine ins andere übergeht? Anders gefragt: Was bedeutet Wohnen, abgesehen von einem Dach über dem Kopf und einem Platz zum Niederlegen? Eine Gewissheit, die man aus der Ausstellung Wir wohnen im Kunstraum Niederösterreich mitnehmen kann, lautet: Diese Dinge sind überhaupt nicht zu trennen.

Die Künstlerin und Kuratorin Ingeborg Strobl, die die Schau zusammengestellt hat, sagt: "Wir alle müssen wohnen - eine Tatsache, eine Notwendigkeit, eine Pflicht, eine Last, eine Konvention und gesellschaftliche Norm." 16 Künstler wählte sie aus, die derzeit auf sehr persönliche Weise zeigen, was dazu alles gehören kann. Die Ausstellung ist luftig angeordnet, lässt dem Besucher Platz zum Schnaufen und vor allem zum Denken. Die Schau, ein Reziprok-Erlebnis zur Wurstelei durch ein Möbelhaus, hat mit ihren Exponaten das Zeug dazu, das Dasein in den sogenannten vier Wänden von außen zu betrachten und zu reflektieren. Wem schafft was Behagen? So könnte eine Frage lauten. Das Warum ist dann die nächste, schon bedeutend kniffligere Denkaufgabe.

Homestorys der ganz anderen Art

Wer hier schickes Mobiliar sucht, wie es die Möbelmessen in Mailand oder Köln jährlich en masse ausspucken, wird von hier mit einem Schnoferl von dannen ziehen. Hier gibt's Homestorys der ganz anderen Art: Der Architekt Clemens Kirsch, der unter anderem für die neue Bepflasterung und die Stadtmöbel von Graben und Kärntner Straße verantwortlich ist, trennt den Ausstellungsraum dezent durch einen Holzstapel, wie man ihn vor allem unter Vordächern von Bauernhöfen findet. Dieser assoziiert Wärme, Heimeligkeit. Aber nur so lange, bis man die dünnen Stahlrohre entdeckt, die garstig und spitz zwischen den Holzscheiten stecken.

Gleich daneben hängen Fotoarbeiten von Liddy Scheffknecht. Baugerüste sind darauf zu sehen. Die Gebäude hinter diesen wurden von der Künstlerin wegretuschiert. Sie lässt das Wohnen also einfach verschwinden.

Nicht nach Weglassen, sondern nach Hinzufügen stand der Sinn Alexandra Schlag und ihren auch im privaten Bereich aktivierten Hausaltären, auf denen sich Schlangen und Frösche aus Gummi, eine tote Wespe, Katzenfiguren, Eier mit geheimem Inhalt und allerlei Schnickschnack aus dem Ein-Euro-Shop und China-Laden tummeln - eine Art Playmobil-Landschaft in der Kunstwelt.

Obwohl von Kuratorin Strobl nicht angestrebt, kommen die feinfühlig aufeinander abgestimmten Exponate natürlich nicht an sozialen Themen vorbei: Susi Jirkuff stachelt mit zwei kurzen Trickfilmsequenzen die Angst vor Einbrechern an. Während auf dem einen Screen eine Wohnungstüre von innen versperrt wird, sieht man auf den anderen abgefilmten Zeichnungen, wie sich eine Hand von außen mit einem Dietrich am Schloss zu schaffen macht. Im selben Raum zeigt der Künstler namens Suvat auf Kleinformaten Personen auf alles dominierendem schwarzem Hintergrund. Seine Message ist nicht schwer zu erraten: Haltlosigkeit und Isoliertheit, die soziale Raumtemperatur dieser schwarzen Umgebungen liegt weit unter dem Gefrierpunkt.

Erkundungsreise zu einem mannigfaltigen Wohngefühl

Man sieht, Ingeborg Strobl, die ein Jahr lang mit der Planung der Ausstellung beschäftigt war, interessiert sich nicht für Design, Architektur oder Modeaktualitäten. Strobl geht es um eine Erkundungsreise zu einem mannigfaltigen Wohngefühl, um Regeln, Zwänge einer genormten Gesellschaft, deren Oberfläche immer mehr von Interieurmagazinen und Coffeetable-Books zugedeckt werden. Auch das Absurde, das einem Zuhause innewohnt, will sie aufzeigen. Dabei helfen ihr die Arbeiten von Christoph Meier, der einen Tisch ohne Tischfläche zeigt, oder PRINZGAU/podgorschek, die einem Biedermeiertischchen eine rosarote Kunststoffplatte verpassen. So etwas tut man doch nicht, könnte sich der eine oder andere biedere Geist auch angesichts der Aquarelle von Regula Dettwiler denken. Sie fertigte, ganz in lexikalisch-botanischer Manier des 19. Jahrhunderts, eine Pflanzenanalyse einer Plastiknarzisse made in China an. Ferner bereichert sie die Kunstwelt mit einer Topfpflanze aus der Gattung der Staubfänger. Die Blätter des Prachtexemplars rahmte sie mit dunkelgrüner Spitzenbordüre ein und bedachte sie so mit einer Art Kleidchen - eine Attacke auf den großtantenhaften Kult um Gummibaum und Yuccapalme. Oder doch ein Zeichen des Respekts vor dieser so weitverbreiteten botanischen Raumskulptur?

Jedenfalls macht die Schau einmal mehr deutlich, dass das Wohnen nicht nur in Heimeligkeit und Konventionen daheim ist, sondern in erster Linie durch das Individuum geprägt ist. Strobl selbst definiert Wohnen als einen Ort zur Befriedigung praktischer Bedürfnisse, es geht ihr nicht um Platz, sondern um Wünsche, um variierende Qualitäten und um ein Rückzugsgebiet. Als solches kann auch diese Ausstellung erfahren werden. (Der Standard/rondo/22/01/2010)