Foto: Matthias Cremer

Was sich im Laufe der Jahre an Krempel im Bücherregal ansammelt, offenbaren jene grauen Wintertage, an denen man das ewig, ewig hinausgeschobene Bücherregalsanieren und Entrümpeln dann doch endlich in Angriff nimmt. Immerhin ist draußen noch Schnee ohne Ende - und ab Tauwetter wird man wahrlich keine Zeit mehr haben für Indoor-Quack wie diesen.

Folgendes Szenario ist dabei unvermeidlich: Man sinkt zwischen labil-schwankenden Bücherstapeln und bereits im statischen Gleichgewicht der Kräfte angekommenen Schuttkegeln von Büchern nieder, um bereits vergessene oder verborgt geglaubte Freunde zu entstauben und wiederzubegrüßen. Man beginnt auch gern in ihnen zu blättern und schließlich zu lesen, was das Bücherregalsanieren empfindlich in die Länge ziehen kann.

Mehrere Stunden kostete zum Beispiel das Wiederauffinden eines sehr, sehr alten Exemplares. Es handelte sich um eine Lektüre, die zugegebenermaßen nicht allen großes Vergnügen bereiten dürfte. Mir aber schon. Denn das Rex=Kochbuch zur Haushalt=Conservierung von Obst, Gemüse, Kompott, Marmelade, Säfte, Moste, Pilze, Suppen, Fleisch, Fisch, Puddings in der 10. Auflage aus dem Jahr 1918 ist eine Kleinodie der Konservierungstechnologie.

Einkochen und Einrexen

Nicht zuletzt, weil sie geschrieben wurde, lang bevor Selbstversorgungsfundamentalisten und Zivilisationsabkehrprediger das Einkochen und Einrexen von Gürkchen und anderem zu einer Art Religion erklärten und für alle Nicht-Fundamentalisten irgendwie verdächtig machten.

Etwa zeitgleich mit dem Rex'schen Prachtstück geriet mir auch ein Buch jüngeren Datums wieder in die Hände, das sich grundsätzlich einem ähnlichen Thema widmet, vom 2004 hochbetagt verstorbenen britischen Selbstversorger-Guru John Seymour stammt und dennoch weitaus unsympathischer daherkommt. Weil eben fundamentalistisch, ausschließlich - und damit ziemlich vorgestrig.

Vieles darin ist zwar wirklich gut durchdacht, sehr gescheit und nützlich, ist ökologisch absolut sinnvoll und praktikabel. Doch die Ausschließlichkeit der gepredigten reinen Lehre eines Lebens wie "früher" ist kontraproduktiv und abzulehnen. Ich persönlich verweigere jedenfalls, meine großartige Waschmaschine gegen eine Waschrumpel zu tauschen, koche im Gegenzug aber gern besagte Gürkchen und noch vieles mehr ein. Soll doch jeder so tun und machen, wie er kann. Eine Mischwirtschaft hat sich immer noch als das fruchtbarste Prinzip erwiesen. Hauptsache, alle denken ein bisschen mehr darüber nach, wie man sinnvoll auf diesem herrlichen Globus wandelt, auf dass er herrlich bleibe. (Ute Woltron/Der Standard/rondo/12/02/2010)