Jedenfalls gehört die V-Form zum unverzichtbaren Instrument der Verlockung.

Foto: Der Standard

+++Pro
Von Ljubisa Tosic

Narziss hatte ganz richtig erkannt, dass er allein seiner Zuneigung würdig war. Tragischerweise jedoch hat er den falschen Weg zu sich selbst gewählt. Er verstand nicht, dass es zur Vollendung der Eigenliebe Repräsentanten der Außenwelt bedarf. Das ist zwar bedauerlich, da man sich selbst mitunter sogar mit mehreren lästigen Groopies teilen muss, ist aber unvermeidlich.

Weil dem so ist, gilt es Symbole an die Außenwelt zu senden, die dem modernen Narziss jene Zuneigung der Außenwelt sichern, die er in autoerotische Energie transformieren kann. Das naive Gegenüber kann - kommt es zum Äußersten - in vermeintlich süßen Stunden getrost glauben, es sei gemeint ...

Wie auch immer. Jedenfalls gehört die V-Form zum unverzichtbaren Instrument der Verlockung. Sie weist pfeilförmig in die richtige Richtung (unter die Gürtellinie). Und sie enthüllt auch jenen Bereich des Luxuskörpers, auf dem das Erbe der Gorillavorfahren unwiderstehlich sprießt. Wer das aufdringlich und vulgär nennt, ist schlicht unserer Eigenliebe nicht wert.

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Contra---
Von Michael Möseneder

Manchmal wünscht man sich, so kleine Taferln wie weiland der Jörg zu haben. Die könnte man hochhalten, wenn man dieselbe Frage zum fünften Male am Tag hört. Wie "Was bist denn heute so fesch?", sobald man in der Übergangszeit einen Anzug mit Krawatte trägt.

Was auf dem Schild stehen würde? "Weil ich keine T-Shirts mit V-Ausschnitt mag." Denn: Der einzige Grund, dass diese Dinger erfunden worden sind - abgesehen von ihrer Rolle als Haute Couture für Hausmeister - ist, dass man sie unter dem Hemd tragen und dabei den Kragen offen lassen kann. Mit Rundhals-T-Shirts sieht das nämlich behämmert aus.

Hat man allerdings nur solche, muss man das Hemd bis oben knöpfen und braucht eine Krawatte, da ein bis oben geknöpftes Hemd auch keine modische Offenbarung ist.

Und falls dann die Frage kommt, warum man nicht für sechs Wochen Übergangszeit in V-Ausschnitte investiert, wäre ein zweites Taferl gut: "Weil ich im Sommer nicht wie ein Hausmeister aussehen will." (Der Standard/rondo/14/05/2010)