Von Franz zu Shoemanic: Das war ein langer Weg.

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Das legendäre Maskottchen von Franz, der Fingerschuh.

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Ein Plakat von 1979.

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Heute arbeitet Humanic mit herkömmlichen Bilderwelten.

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Making-of-Fotos vom jüngsten Kampagnenshooting in London.

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Der Flamingo schaut täuschend echt aus: Stolz steht er vor der Londoner Vorgartenhecke, in die ein findiger Stylist einige Blumen gesteckt hat. Es ist bitterkalt, und es regnet schon den ganzen Tag. Trotzdem muss an diesem grauen Londoner Novembertag die Kollektion für nächsten Frühjahr und Sommer fotografiert werden. Der Einzige, dem das egal ist, ist der Flamingo aus Plastik.

Alle anderen klappern mit den Zähnen. "Vielleicht hätten wir doch wieder nach Südafrika fliegen sollen", sagt Lars Hemming Jorgensen. Jorgensen ist der Kreativdirektor des einwöchigen Shootings, währenddessen alle Sujets fotografiert werden, die Humanic in der nächsten Saison braucht: die Motive auf den Billboards, die Fotos, die im Kundenmagazin abgedruckt werden, die Bilder, die auf der Website zu sehen sein werden.

Es ist das glitzernde, lockende, begehrliche Gesicht von Humanic, das hier im Dauerregen in der tristen Londoner Gartensiedlung entstehen soll. Ein Teil des Erfolgs von Österreichs größtem Schuhhändler entscheidet sich hier. "Seit Monaten bereiten wir diese Aufnahmen vor", sagt Jorgensen und rückt dann seine eckige Hornbrille zurecht. Jorgensen (36) ist Däne und verantwortete schon einige richtig große Kampagnen, Branding- und E-Commerce-Projekte. In der Zukunft wird er ausschließlich für Humanic arbeiten. Hört er den Namen Franz, dann entfährt ihm ein Seufzer.

Enthusiasmus oder Genervtheit

Spricht man Menschen, die bei oder für Humanic arbeiten, auf Franz an, dann passiert das öfters. Ob aus Enthusiasmus oder Genervtheit, das ist im ersten Moment selten klar. Meistens ist es eine Kombination aus beidem. 26 Jahre lang war Franz das Alter Ego des Grazer Schuhunternehmens, das zu einem der großen europäischen Players im Schuhbereich aufgestiegen ist. Franz wurde geliebt, und Franz wurde gehasst. Gleichgültig hat er niemanden gelassen. In Österreichs Werbegeschichte ist Franz eine Institution. Die Fernsehspots und Plakate glichen eher aktionistischer Kunst als herkömmlicher Werbung. "Franz" wurde zu einem geflügelten Wort. Neben Franz sah Österreichs Werbelandschaft plötzlich alt aus. Zum ersten Mal hatte jemand aufgezeigt, was in diesem Medium alles möglich ist.

Franz ist auf Urlaub

Heute existiert Franz bei Humanic nur noch in Form eines sogenannten "mission statement": F.R.A.N.Z. steht für fashion, revolution, attitude, New York und zeitgeist. Böse Geister würden behaupten, für alles und auch ein bisschen für nichts. Franz, sagt Vorstand Peter Horvath, "ist auf Urlaub". Anstalten, ihn aus dem Langzeiturlaub zurückzuholen, gebe es allerdings nicht. Horvath (48) ist der Mann, der in Sachen Marketing und PR bei Humanic die Fäden zieht. Er spricht über die "fashion authority" des Schuhkonzerns, über "multichannel marketing" und "call to action".

Marketingmenschen würden sicher viel Geld bezahlen, um jemanden wie ihn über Marktstrategien reden zu hören. Horvath ist eines der neuen Gesichter von Humanic, 14 Jahre nachdem Franz auf Urlaub geschickt wurde. Er steht mit seinen drei Vorstandskollegen einem Unternehmen vor (Leder & Schuh), das mit insgesamt fünf Marken (neben Humanic, Corti, Dominici, Jello und Shoe 4 You) in elf mitteleuropäischen Märkten vertreten ist und 2009 beinahe 500 Millionen Euro Umsatz gemacht hat. Ein Platzhirsch, der nur noch wenig mit jenem Unternehmen zu tun hat, für das Franz stand.

Seit 1994 produziert Leder & Schuh keine eigenen Schuhe mehr. Viele der alten Geschäfte wurden zugesperrt, Humanic zu einem Schuheinzelhandelsunternehmen und vor allem zu einer internationalen "Lifestylemarke" umgebaut. Als 1996 der geistige Vater von Franz Werbeleiter Horst Gerhard Haberl das Unternehmen verlässt, wird die Werbung an eine externe Agentur übergeben. Marktforschungen hätten damals ergeben, dass die Werbung nichts über das Produkt und die Mode erzähle, die Menschen aber genau darüber etwas erfahren wollten. Dabei war genau das die Revolution von Franz.

Kaiser Franz Joseph und so

Anfang der Siebzigerjahre war Haberl Assistent in der Neuen Galerie in Graz und stark involviert in der Kunstszene der Stadt. Als Werbeleiter scharte er sowohl Künstler als auch Werbetexter um sich. Gemeinsam mit dem Künstler Roland Goeschl und dem Regisseur Axel Corti suchte er nach einem Aushängeschild für das Unternehmen. "Der Axel Corti war der, der dann gesagt hat, wir sollten eigentlich den Franz nehmen, Kaiser Franz Joseph und so", wird ein langjähriger Humanic-Mitarbeiter in einer Wiener Diplomarbeit über die Werbegeschichte von Franz zitiert.

Bald hatte Franz die gleiche Bekanntheit wie Humanic, beziehungsweise Humanic war Franz. Noch heute sind viele der (in den Achtzigern von so bekannten Autoren wie H. C. Artmann, Wolfgang Bauer, Andreas Okopenko oder Gerhard Rühm produzierten) Werbespots legendär. Im ersten Franz-Spot wurden Betonblöcke in die Luft gesprengt, einmal formte man Haare zu einem Schuh und zu einer Handtasche, in einem legendären Spot Ende der Achtzigerjahre skandierte ein Männerchor vor einer Tapete mit Alpenpanorama: "Berge brauchen keine Menschen." Darauf folgte wie immer aus dem Off ein martialisches: "Franz." Nicht nur bei dieser Gelegenheit gingen die Emotionen hoch.

In vielen Spots wurden aktuelle Themen verarbeitet, bei den Konsumenten war Kombinationsleistung gefragt. Die Auflage für die Künstler war, dass sie bei der Gestaltung der Spots die Slogans "Humanic passt immer!" oder "Humanic hat's!" oder "Humanic, Qualität verpflichtet!" einbauen. Produkte mussten keine vorkommen. Beim Namen "Franz" wusste jeder, was gemeint war.

Das Ganze war nicht nur außergewöhnlich, was den österreichischen Markt anbelangt, auch international gab es kaum ähnliche Konzepte. "Als ich das erste Mal mit Franz in Berührung kam, war ich sprachlos", erzählt der Däne Lars Hemming Jorgensen: "Ich habe mich gefragt, wie das bloß funktionieren konnte." Es hat funktioniert. Franz hatte eine Bekanntheit von bis zu 98 Prozent. Heute wäre das kaum mehr möglich.

Kunden dort abholen, wo sie sich befinden

Spricht man mit Menschen bei Humanic, dann bekommt man dafür unterschiedliche Erklärungen. Der Franz-Humor sei typisch österreichisch, das Unternehmen heute aber international. Zudem seien die Anforderungen an Werbung und Marketing heute ungleich weitreichender. Die klassische Plakat- und Fernsehwerbung ist nur noch ein Baustein unter vielen. "Heute geht es darum", sagt Vorstand Peter Horvath, "die Kunden dort abzuholen, wo sie sich befinden." Und das ist an einem ganz anderen Ort als noch Mitte der Neunziger - geschweige denn Mitte der Achtziger.

30 Prozent der Käufer informierten sich mittlerweile online, bevor sie überhaupt einen Fuß in ein Schuhgeschäft setzen. Im Zentrum von allen Werbeaktivitäten von Humanic steht deswegen das Internet: "Der Webshop ist unsere zentrale Kommunikationssstelle. Sein Inhalt bestimmt auch die Inhalte draußen auf den Märkten." Die große Herausforderung, erklärt Horvath, sei die synchrone Kommunikation in all den verschiedenen Märkten, oder wie er sich ausdrückt: in all den verschiedenen Chanels. Womit wir zurück in London wären.

Hier werden die Trends, die Humanics Modeabteilung herausgefiltert hat, visuell umgesetzt. Der Sixties-Hype. Die Exotik-Welle. Alice in Wonderland. Country Romance. Leider ist das Gras rund um die Stilettos des Models zu hoch. Der Regen hat es zudem total aufgeweicht. "In der Post-Production kann man vieles korrigieren", seufzt Modechefin Heidrun Pirch, "aber nicht alles." Seit vier Tagen wird jetzt schon fotografiert. Noch ist kein Ende absehbar.

Fetischcharakter von Schuhe

Im Unterschied zu den Zeiten von Franz, dreht sich mittlerweile alles ums Produkt. Die aktionistische Imagewerbung wurde von klassischer Produktwerbung abgelöst. Shoemanic heißt seit 1998 Humanics Schlachtruf. Den zweiten Teil des Wortes unterstrich man mehrere Jahre lang mit Werbespots, die den Fetischcharakter von Schuhen in den Vordergrund stellten. Man arbeitete gezielt mit Tabus, bzw. man brach sie, mal bekam eine Frau beim Schuhebinden einen Orgasmus, mal beschlichen einen Mann bei der Kommunion im Angesicht der Schuhe einer Frau vor ihm sündige Gedanken. Statt Aufregung, wie mit Franz, produzierte man Erregung. Damit lag man im Trend der sexualisierten Nullerjahre.

Heute geht man in der Kommunikation auf Nummer sicher. Shoemanic ist zwar immer noch Humanics Werbespruch, von Tabubrüchen, sagt Peter Horvath, habe man sich aber verabschiedet. Information, Service, Interaktion sind Worte, die er gerne in den Mund nimmt. Viermal im Jahr gibt es das kunterbunte Shoemanic-Magazin, das den Anspruch hat, umfassend über Schuhmode zu informieren. Auf der Homepage, auf der das ganze Schuhsortiment angeboten wird, klärt ein "Guest Guru" über Materialien und die neuen Absätze auf.

Um solche "Kleinigkeiten" hätte sich Franz wohl nie gekümmert. Wenn er irgendwann einmal von seinem Urlaub zurückkommt, dann dürfte er ziemlich erstaunt sein, was sich während seiner Abwesenheit alles getan hat - und dass sich manche Menschen kaum mehr an ihn erinnern. (Stephan Hilpold/Der Standard/rondo/10/12/2010)