Kännchen für Milch oder Öl

Foto: www.aldobakker.com

Sessel Nr. 2

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Essigkaraffe

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Aldo Bakker

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Aldo Bakker war am Mittelmeer. Das ist amtlich. Wahrscheinlich tunkte auch er den Paximadi, den griechischen Zwieback, in Olivenöl. Ein Schälchen mit grobem Salz ist bei diesem Mode-Entree meist nicht weit, pur und symbolgeladen, so wie sich Lebensmittelkonsum, soziales Ritual und Objekt gerne gegenseitig berühren. Und noch etwas: In der Regel ist das Tunken eine reine Enttäuschung. Gutes Olivenöl ist für Weltmoden zu rar geträufelt.

Also tut Aldo noch mehr für die Freunde des mediterranen Essenzialismus. Er hat das Porzellan seiner jüngsten Serie in die sanfte CAD-Brandung gelegt und etwaige Debatten um rigorose Funktionalität schon vorher baden gehen lassen. Zumindest sehen die weichgespülten Porzellanformen seiner rituell aufgeladenen Tischkultur-Artefakte, aus denen nun Balsamico und natives Öl träufeln, danach aus. Einfaches, schnurgerades Fließen mutet der Amsterdamer Jungdesigner solchen edlen Substanzen nicht zu. Zu kostbar für die Direttissima zur Brotkante mögen sie sein. Lieber stellt er Karaffen auf den Tisch, die dem Extra Vergine eine breite Kriechspur abringen. In kleinen Zwischenbecken pirscht sich das Öl vom Gefäßinneren Richtung Genuss, verharrt in kleinen Pfützen, nutzt jede weiche Porzellanfalte zur Sammlung - vielleicht tatsächlich seiner genuinen Kraft.

Heranpirschen eines Ohrwurms

Aber nicht nur. Ganz ähnlich stellt man sich auch das Heranpirschen eines Ohrwurms durch Gehörgänge vor. Ob die Essig- und Ölkaraffen, die Schalen für Salz und Milchspender der "Porcelain Collection" ein Hit werden, ob der Weg durch die Zwischenlager- und -Becken auch wirklich Sinn macht, ist noch nicht ganz heraußen. Kritik am Weichbild des Ungefähren, das für die Arbeit des knapp 30-Jährigen allzu typisch ist, gibt es durchaus: "Sorry, but this is very cheap", schreiben Twitterer der Design-Plattform Dezeen, die sich nicht wirklich zu den Fans des jungen Holländers zählen. "Design ohne klare Kontur. Unpraktisch in der Reinigung noch dazu, allein schon wegen der engen Öffnungen der Gefäße. Pure Optik, die Probleme lösen will, die es noch nicht mal gibt." Autsch!

Man kann das, muss es aber nicht so sehen. Der provokante Gehalt von Ölgefäßen mit eingebauten Bassins hält sich tendenziell in Grenzen. Doch um seichtes Terrain handelt es sich deswegen keinesfalls. Darauf verweist allein schon der charakteristische Mehrwert, der Aldo Bakkers Entwürfe wie eine verborgene Goldader durchzieht. Es ist ein subtiler Ansatz, einer, der gezielt auf eine Strategie von Entschleunigung setzt - das zentrale Anliegen des Niederländers. Immerhin strecken die weichen Porzellankaskaden ja auch den Erlebens-Zeitraum und zwingen Routinehandlungen meditatives Verharren auf, das man zunächst nicht bestellt - aber als flüchtigen Anker und Ruhepol im Alltag vielleicht trotzdem schätzt. Anders gesagt: Aldo Bakker interpretiert Design als Anti-Adrenalin, und serviert Tischkultur zwecks Entdeckung der Langsamkeit. Fazit: Slow Design für Food.

Rituale und sinnliche Zugänge, die weit über funktionale Vorgaben hinausreichen, sind typisch für Aldo Bakker, den es jeweils nur ein Jahr an Li Edelkoorts Designakadamie Eindhoven und dann an der Amsterdamer Rietveld Akademie hielt. Diese Zugänge charakterisieren auch die Arbeit seines Vaters Gijs Bakker, einem bekannten Namen der Designwelt: führender Schmuckkünstler, Industriedesigner und Mitbegründer von Droog Design, der losen, von Holland aus agierenden Gruppierung, die Anfang der Neunzigerjahre unkonventionelles Konzeptdesign gleichermaßen galerientauglich wie salonfähig und Talente wie Hella Jongerius, Marcel Wanders oder Jurgen Bey groß machte. Zusätzliche Design-Muttermilch verdankt Aldo seiner früh verstorbenen Mutter Emmy van Leersum: auch sie eine Größe der Schmuckkunst-Avantgarde - und Spezialistin für Arbeiten, die mitunter auch die Vergänglichkeit physischer Schönheit thematisieren.

Design-Rampenlicht

Vielleicht wurzelt auch darin der lange Atem, der die Arbeiten des gemeinsamen Sohnes Aldo auszeichnet, sie in auratische Objekte von ungewöhnlicher Strahlkraft verwandelt, zeitlos und futuristisch zugleich.

Eine harte Schicht mit Ewigkeitsanspruch umhüllt auch jene weitere Kollektion, mit der Aldo Bakker zuletzt ins Design-Rampenlicht trat - nämlich die Lackmöbel der "Urushi Series". "Manche Urushi-Produkte sind 9000 Jahre alt", sagt Aldo über die traditionelle japanische Technik. Viel Zeit hat er sich auch für die Umsetzung genommen, die bewusst die Rationalitätskriterien und gedrängten Abläufe der industriellen Optimierungsmaschinerie unterläuft. Sechzig "lebende" Lack- bzw. Harzschichten werden auf die "toten" weil komplett erstarrten PU-Schaum-Strukturen der Kleinmöbel aufgetragen, ein Finish im herkömmlichen Sinn gibt es dabei nicht: Der mit beliebigen Farbkomponenten versetzte Urushi-Baumsaft verändert sein Aussehen noch nach Jahren, lässt die Farbe extrem langsam "reifen". Dazu kommen schließlich noch freie "Schichten" variabler Perspektiven. Sie prägen Aldo Bakkers Möbel eine zweite Langsamkeit auf: Jene der Exploration von Objekten, die sich erst allmählich erschließen und sich je nach Sichtachse in radikal veränderter Optik präsentieren: Aus voll wir flach, aus rund eigentümlich halbiert.

Mit Design hat das nur noch am Rande zu tun. Oder sagen wir lieber: mit Design, das vor allem industriellen Vorgaben folgt. An deren Stelle tritt ein Tiefgang, der Bakkers noch frisches OEuvre mit einem besonderen Zauber überzieht - hinter dem sich in der Regel ein subtiles Zusammenspiel von schlichter Form und Material verbirgt.

Kontinuität

Die Beispiele, die das belegen, wachsen in schöner Kontinuität an. Mit "Particles" etwa, einer Kollektion aus aufpolierten Holzstühlen, die der formalen Weich- und zugleich Klarheit der "Uru-shi Series" folgt und ihre Wirkung aus der Verschiedenartigkeit von blonden, rötlichen und braunen Hölzern erzielt. Bei den kupferroten Objekten der "Copper Collection", besticht wiederum der Übergang zwischen archaisch anmutenden Gerätschaften und den perfekt gerundeten Formen computerunterstützten CAD-Entwerfens.

Wer den Jahrtausenden via Aldo Bakker die Hand reichen möchte, kann sich freilich auch an die Londoner izé Galerie wenden. Dort wird nun ein weiters Aldo- Bakker-Projekt produziert: Ein gebogener Türgriff, der wie ein industrielles Rundrohr beginnt, aber nach vorn hin fließend zusammenschmilzt. Ein in die Ära der Hochtechnologie verirrter Boomerang, der seine Flugbahn von jeher eingeschrieben hat. Das, so scheint es, gilt auch für Aldo Bakkers Weg. (Robert Haidinger/Der Standard/rondo/14/01/2011)